Jimmy, Jimmy
was es da hinten Interessantes gibt. Die Schwimmhalle liegt nicht in der Richtung. Unter den Lichtkugeln auf den hohen Pfeilern des Schultors steht, die Hände in den Taschen, die Schultern eingesunken, das Kinn im Schal um seinen Hals vergraben: Brian. Tolle Pose , denke ich.
»Gehst du mit ihm?«, fragt Jill.
»Nein.«
»Lass es dabei, Eala, um deinetwegen lass es dabei!«
Jill biegt in den schmalen Weg in Richtung Schwimmhalle ein und hat es sichtlich eilig.
»Können wir reden?«, fragt Brian, der auf mich zugekommen ist.
»Nein«, sage ich, bleibe aber stehen und weiß nicht, warum.
»Über Sean«, sagt er.
19
Es wird allmählich albern. Wir gehen seit gefühlten zehn Minuten nebeneinanderher, und noch hat keiner ein Wort gesagt. Inzwischen sind wir am Fluss, was eine klasse Idee wäre, wenn wir uns auf eine Antarktis-Expedition vorbereiten wollten. Wenn man jemals wieder seine Finger oder Zehen spüren möchte, ist es keine. Der Wind weht uns eiskalt ins Gesicht, während wir stromaufwärts gehen. Das Wasser ist nur eine Handbreit vom Uferweg entfernt.
»Du hättest anrufen können«, sage ich. »Du hast meine Nummer.«
»You’ve Got My Number« ist einer der Undertones -Songs von Dad. Ich lache fast, aber es ist eher lächerlich, dass ich ausgerechnet eines von Dads Liedern zitiere.
»Ich wusste, dass du nicht drangehen würdest«, sagt Brian. Ich spüre, dass er mich dabei ansieht, aber ich halte den Blick geradeaus gerichtet.
Wir gehen langsamer. Es ist, als wäre gleichzeitig gehen und reden auf einmal genauso schwer wie gleichzeitig singen und schauspielern. Ich halte nach Schwänen Ausschau, kann aber keine entdecken. Vielleicht sind sie vernünftiger als wir und haben irgendwo Schutz gesucht. Wir befinden uns nicht weit von der Blackcastle Bridge. Die einzige Straßenlaterne in der Nähe ist außer Betrieb, und wenn ich ausdem Dunkel zur Brücke schaue, kommt es mir vor, als könnte ich sie nie erreichen, weil mir die Angst vor dem, was Brian mir über Sean erzählen will, die Beine wegzieht.
Ich bin mir nicht mal sicher, ob es mich überhaupt interessiert, was mein Bruder treibt, so sehr hasse ich ihn dafür, dass er derjenige ist, den Dad ins Vertrauen gezogen hat. Ich weiß, dass Dad sich Sorgen machte, Sean könnte auf die schiefe Bahn geraten, und dass er ihm deshalb eine Lektion erteilen wollte. Mach so weiter, wollte er ihm sagen, dann landest du eines Tages auch im Gefängnis, weil du irgendeinem Idioten eine Bierflasche auf dem Kopf zertrümmert hast. Einverstanden. Aber war es deshalb fair mir gegenüber? Nein. So wie ich es sehe, wäre ich lieber ausgebrochen und hätte auf der Straße rumgehangen, anstatt immer die Sensible, Verständnisvolle zu sein. Dads Geheimnis hätte ich dann bestimmt als Erste erfahren. Ich wäre ihm näher gewesen, als ich ihm in Wirklichkeit je gekommen bin.
»Sag, was du mir sagen willst, bitte!«, sage ich. »Ich frier mich zu Tode.«
Brian bleibt stehen, und ich wende mich ihm zu. Er kommt mir älter vor. Fertig irgendwie. Seine Nase sieht nach dem Bruch flacher aus. Unter dem linken Auge hat er eine frische Narbe, und ich kann mich nicht erinnern, ob sie auch von Dad stammt. Ich glaube, er gefällt mir so fast besser als vorher.
»Sean ist hinter Clem Healy her«, sagt er.
»Woher weißt du das?« Mein Atem flattert, und mein Herz klopft bis zum Hals. »Ihr redet doch nicht mal mehr miteinander.«
Brian scheint sich nicht mehr so sicher zu sein, ob er damithätte anfangen sollen. Er schaut sich um, als wäre er derjenige, hinter dem jemand her ist.
»Ich weiß es, weil er wollte, dass ich ihm helfe. Ich hab ihm gesagt, das kann er vergessen. Er weiß genau, mit wem er’s da zu tun hat, aber er plant trotzdem was, da bin ich mir ganz sicher.«
»Und was soll ich dagegen machen? Als ob ich nicht schon genug Sorgen hätte.«
»Hör zu, Eala, alles, was ich weiß, ist, dass Clem Healy schreckliche Angst hat. Wenn er’s seinem Alten noch nicht erzählt hat, dann nur, weil er weiß, dass der durchdreht, wenn er davon erfährt. Trigger hat schon wegen Körperverletzung gesessen – wegen Körperverletzung und ein paar Sachen mehr.«
»Ich weiß«, sage ich. »Wegen Drogengeschäften zum Beispiel, auf dem Gebiet kennst du dich ja aus.«
Und jetzt tauchen doch die Schwäne auf. Schwäne haben keine Sorgen. Es sind alte und junge, sieben zusammen, die flussaufwärts schwimmen. Die ganze verrückte Welt der Menschen ist ihnen egal. Brian entdeckt
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