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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
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wenn ich in sein sorgenvolles Gesicht sehe, kommt es mir so vor, als wären all seine Ängste – der Mann , das Feuer, Wasser, das Feuer fängt – Kinderängste. Wenn es so wäre, warum sollten sie dann nicht aus der Zeit stammen, als er noch eine Mutter hatte? Es gibt noch eine Menge, was wir nicht wissen, da bin ich mir sicher.
    »Was kostet es, nach Moravia zu fahren, was denkst du?«, fragt Dad.
    »’ne Menge, Jimmy«, sage ich so ruhig wie möglich, obwohl ich am liebsten schreien würde. »Wir sind schließlich zu viert und …«
    »Nein, ich will ja alleine hinfahren«, unterbricht er mich. »Mit euch hier gibt es immer nur Streit. Immer nur Streit, und alle wollen mich nur herumkommandieren.«
    Ich kann nicht mehr, es reicht. Warum sagst du so was, Dad? Siehst du nicht, was du mir antust?
    »Oder wenn Moravia zu teuer ist, könnte ich zu Alan ziehen. Alan streitet sich nie mit mir.«
    Ich verkrieche mich wieder unter meiner Decke und warte, dass er geht. Meine Beine fühlen sich an, als wäre ich einen Endlosmarathon gelaufen. Als er aufsteht, schaukelt das Bett, wie vielleicht auch ein Hausboot schaukeln würde. Dann höre ich ihn gehen, tapsige Schritte, gefolgt von einem Schlurfen. Auch seine vorsichtigen Schritte auf der Treppe kann ich noch eine Zeit lang hören. Und irgendwann, weit entfernt, als wäre es in einem anderen Haus, die Tür zu seinem Zimmer.
    Seine Medikamente sind in dem Schränkchen über dem Kühlschrank in der Küche. Ich zittere, dass ich selbst erschrecke. Mein Herz rast. Ich brauche etwas, das mich beruhigt. Eine Tablette. Nur dieses eine Mal.

22
    Das hinter dem alten Tanzsaal in der Rock Street gelegene Head-Up-Centre ist weder von außen noch von innen ein schöner Anblick. Die Fassade ist feucht und voller schwarzer Flecken, innen bildet das Kondenswasser Rinnsale auf den Scheiben und lässt die Fensterbretter verrotten. Ich bin noch nie hier gewesen und hasse es trotzdem auf den ersten Blick. Genau wie Sean. Tom quengelt und spielt das Klammeräffchen – seine Art zu sagen, dass er sich unter den Besuchern des Weihnachtsbenefizkonzerts nicht wohlfühlt. Mam lächelt ausdauernd, während sie sich in der vollen Eingangshalle von einer Gruppe plaudernder Menschen zur nächsten bewegt und wie die perfekte Gastgeberin Würstchen im Schlafrock und Chicken Wings anbietet. Dad spricht mit seinen neuen Freunden. Er scheint vollkommen zufrieden zu sein.
    Neben Dad steht der gut aussehende junge Mann, der uns vor einer Weile die Cola eingeschenkt hat, an der wir jetzt nippen. Er ist blass mit rötlich goldenen Haaren und dunklen, fast schwarzen Augenbrauen über haselnussbraunen Augen. Es ist Alan, Dads neuer bester Kumpel. Ich weiß nicht, warum, aber ich hätte jemanden ungefähr in Dads Alter erwartet. Er kann kaum älter als vier-, fünfundzwanzig sein und geht am Stock. In einem Rollstuhl nebenihm sitzt eine Frau, die um die Mitte dreißig sein dürfte. Sie bewegt die ganze Zeit den Kopf, als hätte sie keine Kontrolle über ihn, aber ihr Blick ist dabei immer auf Dad gerichtet. Sie scheint alles, was er sagt, sehr lustig zu finden.
    »Es ist eine beschissene Freakshow«, murmelt Sean.
    »Sean böse«, sagt Tom. Er hängt an meinem Hals, als wäre ich ein Bananenbaum und meine Ohren Bananen.
    »Wir sind wegen Dad hier«, erinnere ich Sean. »Sei locker, tu mir den Gefallen!« Ich hab gut reden mit einer von Dads Pillen gegen Angstzustände, die ich eingeworfen habe.
    Unser Schweigepakt wegen der Gefängnisgeschichte hat uns einander nicht nähergebracht, eher im Gegenteil.
    »Halt den Mund, Eala!«
    »Sean böse«, wiederholt Tom. Er mag ein Kleinkind sein, aber er weiß echt, wie er seinen großen Bruder nerven kann. Und er wird damit so lange weitermachen, bis Sean die Nerven verliert. Böse, böse, böse.
    »Hör gut zu, Zusa: Wenn du nicht deine kleine Klappe hältst, dann werd ich dir den Hintern versohlen, dass du deinen Brei auf dem Bauch essen musst.« Sean, der die Weisheit mit Löffeln gefressen hat, denn was wird Tom jetzt sagen …
    »Sean böse.«
    Dabei zeigt er mit dem Finger auf den großen Bruder, damit es auch alle sehen, und er sagt es lauter als zuvor, aber zum Glück reicht die Zeit nicht zum Streiten. Ich weiß nicht, wer der Mann ist, der sich uns jetzt nähert, aber er lächelt, als wären wir alte Freunde. Er ist etwa Mitte sechzig, mit grau werdenden Schläfen. Sein kaffeebrauner Leinenanzug ist sportlich, aber teuer. Er streckt mir die Hand

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