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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
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typischen krummen Rücken eines großen Mannes sieht man heute besonders gut. Ein paar seiner Fußballkumpel folgen mit hängenden Schultern wie Schüler nach einer Prüfung, die sie alle nicht bestanden haben. Als Pat Dillon mit dem Arm in einer Handtuchschlinge kommt, gehe ich zum Auto.
    »Mit wem hast du gesprochen?«, frage ich, als Martin den Mercedes mit der Fernbedienung aufschließt. Dad steht nur da, hat den Kopf gesenkt und meidet meinen Blick
    »Mit einem Kunden«, sagt er, aber ich glaube ihm nicht.
    »Wird Pat ihn anzeigen?«
    »Ich glaube nicht«, sagt Martin. »Andererseits wird er ein paar Wochen nicht arbeiten können, und wenn’s um Geld geht …«
    »Das mit dem Fußball war eine blöde Idee«, sage ich.
    »Ich weiß«, sagt er. »Aber ich dachte, es würde ihm guttun, mal Dampf abzulassen und den ganzen angestauten Frust loszuwerden.«
    Dann steigt er ins Auto. Dad und Alan setzen sich nach hinten, ich auf den Beifahrersitz. Wir sind schon auf der Straße nach Borris, wo Alan wohnt, als jemand etwas sagt.
    »Wie wär’s mit Musik?«, fragt Alan, als wäre nichts passiert.
    Martin macht das Radio an. Country, der übliche Unglückliche-Liebe-Käse.
    »Mir wäre gute Musik lieber, wenn’s dir nichts ausmacht«, sagt Alan.
    Martin wechselt die Sender, hört zweimal ein Nein von Alan und dann ein Ja. Ein Symphonie-Orchester spielt noch trauriger als die Country-Truppe von vorhin.
    »Mahlers Neunte«, informiert uns Alan. »Vierter Satz – Adagio.«
    »Und ich hätte gewettet, es ist die Achte«, sagt Martin und lächelt mich an, was ich jetzt gerade gespenstisch finde.
    Ich sehe in ihm schon eine ganze Weile nicht mehr den Mann, der mich mal hoffnungslos verwöhnt hat. Immer öfter habe ich stattdessen den jungen Mann vor mir gesehen, der eifersüchtig beobachtet, wie Dad auftaucht und ihm Mam vor der Nase wegschnappt. Und jetzt gerade sehe ich einen Mann in mittleren Jahren, einen geschiedenen Mann, der erkannt hat, dass ihm Dads Unfall eine zweite Chance beschert. Vielleicht hat er Dad ja gar nicht so gedankenlos zum Fußballspielen mit den Kumpels mitgenommen, wie ich dachte. Vielleicht hat er Pat Dillon angestiftet, Dad zu provozieren. Damit der wieder ausrastet – und diesmal vor Publikum. Je öfter Dad ausrastet, desto wahrscheinlicher ist es, dass Mam ihn irgendwann aufgibt. Klasse Trick , sagt Angie.
    »Nein, nein, die Neunte«, sagt Alan. »Die Achte ist diemit den größeren Choranteilen. Kennen Sie Brahms’ Ein deutsches Requiem ? Oder das Finale von Mahlers zweiter Sinfonie …«
    Alan redet über klassische Musik, bis wir die steile Zufahrt zum Haus seiner Eltern hinauffahren. Es ist ein frisch renoviertes, weiß gestrichenes Bauernhaus mit zwei Stockwerken, und es wird von Scheinwerfern auf dem Rasen davor in helles Licht getaucht. Alans Mutter winkt uns aus dem Fenster zu, aber ich winke nicht zurück. Das Bild der kleinen Gestalt im Fenster vor dem sanft beleuchteten Raum dahinter könnte ein Gemälde sein. Alans Mutter braucht keine Beruhigungspillen, das sehe ich an ihrem Gesichtsausdruck – wieso auch, wo sie Alan demnächst in ein Wohnheim in Limerick abschieben will. Wieder so ein gemeiner Gedanke, aber ich kann ihn mir nicht verkneifen.
    »Danke«, sagt Alan, während er den Sicherheitsgurt öffnet. »Es war ein interessanter Abend, aber nächstes Mal werde ich nicht mehr mitkommen.«
    »Ich auch nicht«, sagt Dad.
    »Tschüs, Alan«, sagt Martin, als hätte er ihn gern schnell aus dem Wagen.
    Als das Licht über der Haustür angeht, sehe ich Mr Foran. Alans Vater strahlt, als wäre sein Sohn sechs Jahre alt und käme von einem Kindergeburtstag nach Hause. Bei mir fängt gerade das innerliche Zittern wieder an. Ich brauche dringend eine Tablette. Mehr als eine. Martin öffnet das Seitenfenster, als er sieht, dass Mr Foran sich nähert. Er trägt einen bunten Wollpullover, den bestimmt seine Frau gestrickt hat.
    »Hallo, Martin«, sagt er und beugt sich zum offenen Seitenfenster herunter. »Hallo, Eala, wie geht’s?«
    »Danke, super.«
    Er sieht mich so aufmerksam an, als wüsste er, dass es mir keineswegs super geht. Aber vielleicht kann er mich im Dämmerlicht des Wageninneren auch nur nicht gut sehen. Jetzt erinnere ich mich an Dads französischen Ausdruck für einen weisen alten Mann: é minance grise. Dr. Reid und Mr Foran sind graue Eminenzen. Dad wird nie eine sein. Er kann keine mehr werden.
    »Wir können Ihnen gar nicht genug danken«, sagt Mr Foran, der sich

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