Jimmy, Jimmy
Science-Fiction-Comics.
»Die einseitige Lähmung nach dem Unfall«, sagt Miss U.
»Ich weiß«, sage ich.
Ich halte mich mit der freien Hand an der Sofalehne fest, damit man nicht sieht, wie sie zittert. Die Krümel in der anderen Hand sind inzwischen feucht von Schweiß. Dann kommt Mam und setzt sich neben mich. Sie legt den Arm um mich. Ich möchte nicht berührt werden, aber wenn ich wegrücke, halten sie mich für noch komischer als sowieso schon.
»Ich dachte, die Zidane-Sache könnte irgendwas bedeuten«, sage ich. »Tut mir leid.«
»Es muss dir nicht leidtun«, sagt Mam. »Wir sind einfach alle erschöpft. Wir müssen …«
Sie schaut zu Miss U, die sieht, was ich auch sehe, nämlich dass Mam plötzlich gar nicht mehr gut drauf ist. Ihr Blick signalisiert Verärgerung. Und Miss U reagiert. Nach einem Schluck Tee, bei dem die Untertasse klappert, verwandelt sie sich von der Freundin in die Psychologin vom Dienst.
»Als Erstes möchte ich festhalten, dass in solchen Situationen in der Regel niemand das Gefühl hat, irgendetwas richtig zu machen. Es ist vollkommen normal, dass wir denken, wir hätten versagt und seien unserer Aufgabe nicht gewachsen.«
» Wir? «, unterbreche ich sie. »Was soll der Quatsch? Du gehörst nicht zu uns. Du kannst gar nicht wissen, wie es ist.«
»Da hast du natürlich recht«, sagt Miss U. »Ich kann nicht wissen, wie es ist. Aber ich kann sehen, wie überfordert ihr alle seid und dass es so nicht weitergehen kann, nicht ohne …«
Tabletten, denke ich und mag nicht, wie Miss U mich ansieht, als wüsste sie, was ich denke. Ich wünschte, ich könnte aufhören, mit dem Fuß zu wippen, aber ich kann es nicht.
»… eine Pause. Ihr habt gesehen, dass Jimmy in letzter Zeit gewisse, nun, Verhaltensauffälligkeiten an den Tag legt. Das heißt, er braucht Hilfe. Von außen. Euer Problem ist, dass das, was er tut, so untypisch für den Mann ist, den ihr gekannt habt. Darum fällt es euch so schwer, damit umzugehen.«
Sean und ich tauschen Blicke. Er schaut, als wolle er mit erhobenen Augenbrauen eine Frage stellen, und mein Stirnrunzeln spricht eine deutliche Warnung aus.
»Das Normale in dem Stadium wäre, dass der Psychiater ihn ambulant behandelt und eventuell neu auf seine Medikamente einstellt«, fährt Miss U fort. »Aber Doktor Reid würde Jimmy gern für ein paar Wochen dabehalten, und zum Glück ist gerade ein Platz frei geworden. Plätze für vorübergehend Pflegebedürftige sind zurzeit ausgesprochen rar – ihr wisst ja, die Einsparungen überall im Gesundheitswesen, da muss man …«
»Genau so fängt es an«, sage ich.
»Aber wenn es für ihn das Beste ist«, sagt Sean. »Wir können doch wirklich alle nicht mehr. Du auch nicht.«
»Maximal zwei Wochen«, sagt Mam. »Dad wird komplett neu eingestellt, und wir hier können in der Zeit unsere Batterien aufladen und ...«
»… uns schon mal daran gewöhnen, dass er nicht hier ist«, falle ich ihr ins Wort. »Nächstes Mal sind es dann vier Wochen, dann sechs und immer so weiter. Das ist der Plan, hab ich recht, Mam?«
»Es gibt keinen Plan. Wir tun, was wir tun müssen.«
»Was du tun musst«, setze ich zu einem Tiefschlag an. »Hast du’s mit Martin auch schon besprochen? Ich wette, er hält es für eine klasse Idee.«
Mam stellt ihre Tasse auf den Sofatisch, und ich wünschte, ich hätte Martin nicht erwähnt. Oder nein: Ich wünschte, ich hätte Martin nicht vor Miss U erwähnt. Mam steht auf und wischt sich ein paar Krümel von ihrem Kleid. Krümel auf dem Fußboden kann ich nicht sehen. Ich muss mich zwingen, nicht aufzustehen und sie aufzusammeln.
»Die Wäsche muss in den Trockner«, sagt Mam und streift uns mit einem Ich-bin-euch-haushoch-überlegen-Blick, bevor sie aus dem Wohnzimmer verschwindet.
Miss U schaut ausnahmsweise nicht verständnisvoll. Sie ärgert sich über mich und kann es nur schwer verbergen. Sie starrt mich an. Wir können gern den ganzen Abend wütende Blicke austauschen, Miss U , denke ich, aber unterkriegen wirst du mich nicht! Am liebsten würde ich sie auslachen.
»Du hast was genommen, Eala«, sagt Sean. »Du bist total von der Rolle.«
»Du denkst, alle anderen wären genauso blöd wie du?«
»Hat Brian …«
»Ich hab nichts mehr mit Brian, okay? Ich war drei verdammte Tage mit ihm zusammen, vielleicht auch vier, so genau kann ich mich nicht erinnern, und das war’s, okay? Ich hab mit ihm Schluss gemacht, okay?«
Miss U hört nicht auf, mich anzustarren, und
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