Jimmy, Jimmy
ein Talent zum Betrügen habe.
Mam musste letzten Donnerstag zu einer Tagung nachKilkenny, und ich schlug vor, gleich nach der Schule mit Dads neuem Rezept zur Apotheke zu gehen. Ihr war’s natürlich recht, und ich wusste, dass Dad für den Rest des Tages und den nächsten Morgen noch genug Tabletten hatte. Also nahm ich, als ich nach Hause kam, eine von den Angstpillen und versteckte den ganzen neuen Vorrat in meinem Kleiderschrank. Als Mam nach Hause kam, erzählte ich ihr, ich sei nach der Apotheke in noch ein paar anderen Geschäften gewesen und müsse die Apothekentüte irgendwo vergessen haben. Ich sei noch mal den ganzen Weg zurückgegangen, aber die Tüte sei wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Erst war sie ein bisschen sauer, aber es war nicht schwer, sie rumzukriegen. Ich verdrückte ein paar Tränen und schimpfte auf mich selbst. Sowieso wär’s besser, er bräuchte das ganze Zeug überhaupt nicht mehr zu nehmen, schluchzte ich und hatte nicht mal Schuldgefühle, dass ich sie belog. Ich hab sie immer noch nicht. In mir hat Mam wenigstens jemanden, der sie versteht, jemanden, an dem sie sich festhalten kann.
»Mach dir keine Vorwürfe, Eala«, sagte sie. »Wir kriegen das schon hin. Mach dir keine Sorgen.«
Sie spielen seit ungefähr fünf Minuten, und Dad macht überhaupt keine gute Figur. Sein gelbes Pelé-Trikot ist jetzt schon nass vom Schweiß. Wenn der Ball in seine Nähe kommt, erstarrt er oder verknotet sich fast die Füße vor Aufregung. Komischerweise sieht es aus, als wären ihm seine Turnschuhe drei Nummern zu groß.
Die anderen sind alle übervorsichtig, das merkt man. Sie versuchen, das Spiel ruhig zu halten, weil sie Dad nicht das Gefühl geben wollen, dass er nicht mitkommt. Sie lassenihm so viel Zeit, wie er braucht. Zweimal hat Martin es schon geschafft, ihn vor dem Tor freizuspielen, und jedes Mal hat er ohne Zutun eines Gegenspielers das Tor verfehlt. Neben mir auf der Bank hinter der Seitenlinie sitzt Alan. Er hat eine sehr direkte Art. Eine zu direkte für meinen Geschmack.
»Jimmy ist kein guter Fußballer, stimmt’s?«, fragt er. Vorher hat er mich schon darauf aufmerksam gemacht, dass Dad zu dick ist, und mich gefragt, ob Dad überhaupt schon mal Fußball gespielt hat.
»Er gibt sein Bestes«, sage ich. »Früher war er richtig gut.«
»Vielleicht sollte er lieber aufhören.«
»Man kann ja auch Spaß haben, wenn man kein Riesentalent ist.«
Darüber denkt er nach, während das Spiel nun fast Zeitlupentempo angenommen hat. Dad spricht gerade mit Martin, und ich kann an seiner Körperhaltung ablesen, dass er genug hat. Martin entfernt sich von ihm und sagt etwas zu den anderen, was ich aber nicht verstehen kann. Einer der anderen ist Pat Dillon, der Berg von einem Kerl, der im Krankenhaus nur flüstern konnte. Er sieht Martin an, als verstünde er nicht.
»Schon, aber man muss auch seine Grenzen kennen«, greift Alan den Gesprächsfaden auf, von dem ich dachte, dass wir ihn längst verloren hätten. »Ich versuche nicht mehr, Chopins Fantasie-Impromptu oder Après une Lecture du Dante zu spielen. Ich hab die Geschicklichkeit und Konzentration nicht mehr. Wenn ich es versuche, bin ich nur frustriert und will gar nicht mehr spielen.«
Martin zielt gerade wieder einen Pass auf Dad, und der hat seine üblichen Probleme, den Ball unter Kontrolle zubringen. Dann kommt Pat Dillon, nimmt ihm den Ball ab und verpasst ihm dabei einen kleinen Stoß. Dad taumelt wie ein Seemann auf einem kenternden Schiff, aber schon ist Martin da und fährt Pat mit Karacho in die Beine. Das ist der Startschuss. Von da an wird es ernst.
Sie nennen es Fußball, aber in Wirklichkeit ist es eine einzige Klopperei. Nur Dad macht nicht mit, natürlich nicht. Er steht wie ein Verkehrspolizist auf einer Kreuzung mitten in Mumbai, oder wo auch immer sich kein Mensch an die Regeln hält. Es ist, als müssten sie auf einmal all die Gefühle ausleben, die sich seit Dads Unfall in ihnen angestaut haben, und sie tun’s auf die einzige Art und Weise, die sie kennen. Liebe ist seltsam. Und Männer sind es auch.
»Die Spannung in der Halle steigt«, sagt Alan laut, aber nur zu sich selbst. Es hört sich an, als würde er wie ein Nachrichtensprecher vom Blatt ablesen. »Manchmal muss es erst schlimmer werden, bevor es besser werden kann.«
Ich ahne, dass er eine Art Spiel spielt, um zu den wilden Männern auf Distanz zu gehen.
»Nicht mehr lange, dann gehen sie sowieso alle auf dem Zahnfleisch«, sage
Weitere Kostenlose Bücher