Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
Vom Netzwerk:
weiter unten ist gar nichts zu hören. Aber wahrscheinlich reden Dad und Martin auch, obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, was sie einander zu sagen haben.
    »Eala?«, ruft Tom.
    »Ich komme.«
    Als ich die Perücke aus dem Schrank hole, überlege ich, ob ich noch eine Angstpille nehmen soll, entscheide mich dann aber doch dagegen. Mit der Perücke auf dem Kopf schaue ich in den großen Spiegel in der Schranktür. Ich bin Angie, die Eala ansieht. Zwei sind raus, jetzt ist nur noch eine im Spiel, Eala. Sean und Judy haben Dad aufgegeben, jetzt liegt alles an dir. Aber was kann ich tun? Ich hab doch schon alles ausprobiert. Dir wird was einfallen, Eala, irgendwas, was Dad aus dem schwarzen Loch herausholt.
    Zurück bei Tom breite ich die Arme aus und verbeuge mich vor meinem Publikum. Ein großer Auftritt, und Tom lacht sich schlapp.
    »Miss’s Casey!«, gluckst er. »Du bis’ Miss’s Casey.«
    Ich muss lächeln. Du weißt gar nicht, wie recht du hast, Tom. Ich setze mich zu ihm und schlage das Buch auf. »Peter, der Panzer, und die Teekannen«. Ich lese, und wieMam und Dad, als sie Sean und mir vorgelesen haben, fordere ich Tom auf, mir die Sachen auf den Bildern zu zeigen, die ihm besonders gut gefallen.
    »Pi’tole«, sagt er und zeigt auf das Kanonenrohr des Panzers. Jungs sind Jungs.
    »Und welche Farbe hat die Blume da?«
    »Rot.«
    Er zeigt auf das Piratentuch, das Rosie, die Mechanikerin, auf dem Kopf trägt.
    »Rot.«
    Sein Finger fährt langsam über Rosies Gesicht und weiter nach unten über ihren Körper. Sie hat meine schwarzen Haare und meine leichte Himmelfahrtsnase, und auf ihren linken Arm ist ein kleiner Schwan tätowiert.
    »Eala«, sagt er.
    Ich lese weiter, lasse mir Zeit, bade im Geruch meines kleinen Bruders, der mit großen Augen staunt und dabei zufriedene Seufzer von sich gibt. Mit einer Hand knetet er meinen Arm, mit der anderen hält er den grünen Traktor fest.
    Ich muss daran denken, wie es war, als er ein kleines Baby war. Ich weiß noch, wie ich neben ihm auf dem Bett lag und er mit seinen eifrigen kleinen Fäusten in die Luft boxte und die Beine bewegte wie ein Sprinter. Es war eine glückliche Zeit. Alle rissen sich um ihn, sogar Sean. Alle schwebten auf Wolke sieben. Das ganze Haus strahlte eine milchige Wärme und Zufriedenheit aus. Und Dad, der perfekte Dad, wechselte Windeln, prüfte auf seinem Handrücken, ob die Milch warm genug war, und sang Tom in den Schlaf, wie er schon Sean und mich in den Schlaf gesungen hatte. »Row, row, row your boat gently down the stream. Merrily,merrily, merrily, merrily, life is but a dream.« So wird es nie mehr sein. Außer … Außer wenn du dein eigenes Baby hast , lacht Angie, ha, ha, ha!
    »Eala weint«, flüstert Tom.

29
    Dad ist jetzt eine Woche weg. Wir besuchen ihn nicht, das könnte ihn verwirren. So lautet die Theorie. Die Wahrheit ist, dass er froh war fortzukommen. Er hat’s mir am Abend zuvor gesagt. Das und ein paar andere Wahrheiten über unser Zuhause, die alles nicht leichter gemacht haben. Was ich getan habe, war auch keine so gute Idee: Ich hab ihn gezwungen, sich die Zidane-DVD anzusehen.
    Diese Schlaftabletten halten auch nicht immer das, was auf der Packung versprochen wird. Oder jedenfalls hält die Wirkung nicht lange an. Bei mir wirken sie schnell, wenn ich eine davon mit dem Antidepressivum zusammen nehme. Sie haben einen eklig chemischen Geschmack, aber nach dem sehnst du dich, wenn du weißt, dass du davon bald einschläfst. Ein paar Stunden später bist du dann wieder wach, und die Versuchung, noch eine einzuwerfen, ist groß, aber ich hab ihr nur ein einziges Mal nachgegeben. Am Morgen nach einer Schlaftablette bist du groggy, aber nach zweien stehst du komplett neben dir und hast das Gefühl, die Welt um dich herum hätte ein Echo.
    All das sage ich mir heute Abend, damit ich, wenn ich später aufwache, kein zweites Mal nachgebe. Ich muss morgen so normal wie möglich sein. Mich gut benehmen und gut aussehen. Ich dachte, ich könnte Jill bitten, mir einpaar von ihren Girlie-Klamotten zu leihen, aber sie wird schon Theater machen, wenn sie hört, worum ich sie hauptsächlich bitte. Wenn sie’s je hört. Ich schiebe es immer noch vor mir her, sie anzurufen, dabei ist es gleich elf. Ich versuche immer noch, an andere Dinge zu denken, um nicht zum hundertsten Mal zu wiederholen, was ich sagen werde, wenn ich mich endlich traue, sie anzurufen.
    Aber noch mal zu Dad an dem Abend, bevor er

Weitere Kostenlose Bücher