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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
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mir Ausschau. Ich denke kurz daran, mich hinter die Mauer zur Straße zu ducken, und lasse es, weil es einfach zu kindisch wäre. Ich weiß, was sie von ihrem Fenster aus sehen würde, wenn ich es täte: einen Rucksack, meinen, der sich knapp unterhalb der Mauerkante vorwärtsbewegt, während ich selbst unsichtbar bleibe. Bei dem Gedanken daran muss ich kichern. Ich gehe vorbei und schaue auch nicht, ob Jill am Fenster steht.
    Mam wollte mich herbringen. Sie war so froh, dass ich heute gut drauf war und ganz normal bei Jill übernachten wollte, dass es ihr nichts ausmachte, als ich sagte, ich würde lieber zu Fuß gehen. Manchmal frage ich mich, wie sie meine morgendliche Schlaftrunkenheit genauso übersehen kann wie meine Unruhe, bevor ich abends meine Schlafpille eingeworfen habe. Oder warum ihr Sean nichts vonseinem Verdacht erzählt. Ich habe das Gefühl, dass er mich die ganze Zeit beobachtet, und weil ich ihm zutraue, dass er in meiner Abwesenheit mein Zimmer durchsucht, gehe ich auf Nummer sicher. Die Tabletten sind in meinem Rucksack, den ich überall mit hinschleppe.
    Brians Bungalow ist der letzte in der Sackgasse und der größte. Er hat mehr Fenster zur Straße als alle anderen, und als ich das Tor zur Einfahrt öffne, sind alle beleuchtet. Auf dem Rasen plätschert ein Springbrunnen. Auf den ersten Blick sieht es aus, als würde ein griechischer oder römischer Jüngling in das Becken pinkeln, in dem er steht, und es ist so komisch, dass ich wieder kichern muss. Als ich weitergehe, sehe ich, dass das Wasser aus einer langen schmalen Vase in seinen Händen kommt.
    Vor der Haustür hole ich ein paarmal tief Luft. Ich habe keine Angst. Ich habe tagsüber keine Pillen genommen, damit ich zwei nehmen konnte, bevor ich mich auf den Weg hierher gemacht habe. Es war genau die richtige Idee. Ich hab mich vollkommen im Griff, als ich den Rucksack abnehme, mir mit der Hand durchs Haar fahre, den Reißverschluss meiner Jacke ein Stück aufziehe und einen weiteren Knopf an meiner Bluse aufmache. Es ist gut, endlich den Rucksack loszuwerden. Verrückt, wie schwer eine Flasche Wodka sein kann.
    Gestern in der Probe habe ich die Maria wie in einem Britney-Spears-Video gespielt, mit anzüglichen Bewegungen und dem totalen Anmachblick. Derek war fix und fertig. Er konnte sich nicht auf seinen Text konzentrieren, und ihm fiel auch keine passende Retourkutsche ein. Dafür hatte ich hinterher Miss O’Neill am Hals. Sie nahm mich nach der Probe zur Seite.
    »Ich schätze es, dass du eine neue Seite an Maria zu finden versuchst, aber für meinen Geschmack geht das ein bisschen zu weit.«
    »Sie ist so naiv, dass es lächerlich ist«, sagte ich. »Das bin einfach nicht ich.«
    »Wir haben alle unsere naiven Momente, Eala, glaub mir«, sagte sie. »Und im Übrigen ist Schamlosigkeit nicht sexy, sondern billig.«
    »Ich weiß sowieso nicht, warum ich mitspiele«, sagte ich, und es musste klingen, als sollte sie mir sagen, warum. Was hat sie an sich, das mich so aus der Reserve lockt? Sie zeigt nie irgendwelche Gefühle, egal was passiert. Und trotzdem war ich nah daran, vor ihr zusammenzubrechen.
    »Meine Großtante war Schauspielerin«, sagte sie. »Nie wirklich berühmt oder so, aber sie hat ihr Leben lang auf der Bühne gestanden. Am liebsten spielte sie in turbulenten Komödien mit viel Körpereinsatz, auch als sie schon in den Achtzigern und mit einer schweren Arthritis geschlagen war. Bei ihrem letzten Stück musste ich sie von der Garderobe zur Bühne bringen, oder besser gesagt, tragen. In den Kulissen hat sie mir dann ihren Gehstock gegeben, und ich habe sie bis zu ihrem Stichwort am Arm gehalten. Du hättest sehen sollen, wie sie danach auf der Bühne herumgesprungen ist: wie ein junges Mädchen. – Es muss einen Platz geben, wo wir unseren Gehstock wegschmeißen können, Eala. So einfach ist das.«
    Den Gehstock wegschmeißen – genau das werde ich jetzt tun. Ich drücke auf den Klingelknopf von Brians Haustür. Jemand startet ein Auto und fährt es aus der Einfahrt weiter vorn in der Straße. Ich trete näher an die Tür und klingle hartnäckiger. Er hat’s offenbar nicht eilig, mir aufzumachen.Durch die gefrostete Scheibe neben der Haustür sehe ich jemanden sich bewegen, zögern, sich bewegen – dann öffnet er die Tür.
    »Ach, Eala.«
    Ich bringe kein Wort heraus. Was sagt man zu jemandem, den man so hasst und so liebt? Er ist schuld, dass mein Vater ein Zombie ist, er hat mich zur Lachnummer gemacht

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