Jimmy, Jimmy
schiefgelaufen ist. Aber wenn ich ausgeschlafen hab, geht’s mir spitze. Spitze.
»Du Mistkerl hast ihr was in den Drink gemischt, gib’s zu!«
»Du spinnst, Mann. Sie ist irgendwie nicht bei sich. Sie war schon so, als sie gekommen ist.«
Wie nicht bei sich? , denke ich. Und was ist das für ein Krach? Ich zwinge mich, die Augen zu öffnen. An der Tür kämpfen Sean und Brian, aber ihre Bewegungen sind absurd langsam, als kämpften sie unter Wasser. Sean trifft Brian mit der Faust am Kinn, aber Brian schlägt nicht zurück.
»Mann, Sean, wenn ich so was gemacht hätte, würd ich dich dann anrufen?«, fleht er. »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Sollen wir einen Arzt rufen?«
»Und was ist mit ihrer Bluse, du Schwein?« Sean schlägt wieder zu, diesmal ohne zu treffen.
Ich schiele an mir herunter. Die Bluse ist wieder zugeknöpft, nur sind die Knöpfe in den falschen Löchern. Ich fange an zu kichern. Dann versuche ich, den Kopf zu heben, und spüre den Wodka in mir hochsteigen. Was, wenn er auf dem falschen Weg wieder zurückfließt?
»Helft mir!«, sage ich, aber ich weiß nicht, ob sie mich hören. »Helft mir!«
Sie sind so mit ihrem Kampf beschäftigt, dass sie mich vergessen haben. Aber ich will nicht, dass sie wegen mir kämpfen.
»Helft mir!«
Warum hören sie nicht? Bitte, hört mir doch zu!
Ich befinde mich außerhalb meines Körpers und schaue von oben auf das Mädchen auf dem Sofa und die zwei Jungs, die einander zu Boden ringen wollen. Ich steige immer höher und bekomme es mit der Angst zu tun, weil ich doch in meinen Körper zurückmuss. Außer dass es gar nicht mehr ich bin, die da unten auf dem Sofa liegt. Es ist Angie. Ich steige höher und höher, und was, wenn ich nicht mehr in meinen Körper zurückkomme?
Wer bin ich dann?
31
Als ich sieben Jahre alt war, nahm mich Mam zum ersten Mal in eine Musical-Aufführung in der Aula mit. Wir gingen mit einer Arbeitskollegin hin, deren Tochter die Ado Annie in »Oklahoma« spielte. Ich war ganz aus dem Häuschen vor Begeisterung, high von Coca Cola und Schokolade und »I Cain’t Say No«. Bis zur Pause, als ich eine meiner Krisen kriegte.
Dazu muss man wissen, dass die Bühne unserer Aula keine Vorhänge besitzt, und als nun Pause war, gingen die Lichter im Saal an, und der Anblick der leeren Bühne stürzte mich in größte Verwirrung. Mam, die damals noch geraucht hat, wollte mit mir nach draußen, und wahrscheinlich hab ich sie auch deshalb so genervt, als ich stehen blieb und auf die Bühne starrte und quengelte: »Aber wenn jetzt was passiert, während wir draußen sind?« Sie darauf: »In der Pause passiert gar nichts, weil sich alle ein bisschen ausruhen, okay?« Aber ich bin nicht überzeugt und schniefe und schmolle, während ich wohl oder übel hinter ihr hertrotte. Noch Tage, nein, Wochen danach hatte ich die fixe Idee, dass wir irgendeine wichtige Wendung in der Geschichte verpasst hätten.
An die Begebenheit musste ich in den letzten Tagen immer wieder denken. Ich habe dieselbe fixe Idee, seit ich hierin meinem Zimmer liege. Wie viele Tage mögen es jetzt sein – acht, neun? Jedenfalls hat sich in der Zeit manches geändert, in den Stockwerken unter mir und in unser aller Leben.
Erst war ich zwei Tage im Krankenhaus. Der erste Tag war ein Albtraum. Als ich in einem fröhlich gestrichenen Krankenzimmer aufwachte, geriet ich in helle Panik, weil ich mir sicher war, in der Psychiatrie zu stecken, derselben Psychiatrie, in der sie in einem anderen Zimmer auch Dad untergebracht hatten. Während Mam, eine Ärztin und eine Handvoll Schwestern mich zu beruhigen versuchten, sah ich mich plötzlich wieder vor Brians Tür stehen. Ich konnte mich an nichts im Haus drinnen erinnern, nicht mal, dass ich es überhaupt betreten hatte, aber ich kriegte eine zweite Panik, weil ich mir die schlimmsten Dinge ausmalte, die dort hätten passiert sein können. Ich flehte Mam an, dass sie mir die Pille danach geben sollten, aber sie versicherte mir, dass überhaupt nichts passiert war. Sie hatten mich untersucht, und bei dem Gedanken, dass sie es getan hatten, flippte ich noch mehr aus. Ich habe randaliert, bis sie mir diese Spritze verpassten, die mir die Adern gefrieren ließ und mein Denken verlangsamte, bis es nur noch im Schneckentempo funktionierte.
»Lass die keinen Zombie aus mir machen, Mam!«, schluchzte ich.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte sie von so weit weg, dass ich dachte, ich würde sie nie wiedersehen. »Wenn du
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