Jinx und der magische Urwald (German Edition)
Redensart!«
Jetzt saß eine Wespe auf Jinx’ Nase. Es war dieselbe, die ihm ins Auge geschaut hatte – sie war über seine Wange spaziert, und jetzt schielte er sie an. Die Wespe, die ihm ins Hemd gekrochen war, stolzierte über sein Schlüsselbein, er spürte jeden einzelnen Schritt in Erwartung eines weiteren Stichs. Die Stiche, die sie ihm verpasst hatten, pochten schon. Anstatt mit Simon zu zanken, sollte Sophie lieber mal an Jinx denken – ohne Sophies Überredungskünste würde Simon ihn womöglich nie aus der Starre befreien.
»Simon, würdest du das Kind jetzt bitte befreien?«, sagte Sophie.
Es entstand eine Pause, ein Schulterzucken vielleicht.
»Wenn du mich so lieb bittest«, sagte Simon.
Im nächsten Moment hingen Jinx’ Kleider wieder an ihm herunter. Doch er rührte sich keinen Millimeter. Die Wespen sollten sich bloß nicht aufregen.
»Er bewegt sich aber immer noch nicht«, sagte Sophie. Sie kam zu ihm. »Jinx, ist alles in O… O nein! Simon, überall auf dem Jungen sitzen Wespen!«
»Dann hat er wohl den Krug mit den Wespen aufgemacht«, sagte Simon.
»Du hältst Wespen in einem Krug?«
»Nicht direkt«, antwortete Simon in einem Ton, der sagte: Das ist jetzt zu kompliziert zu erklären.
»Nimmt sofort die Wespen von dem Kind runter!«
Wieder eine Pause und ein langer, zäher Blick von Simon zu Sophie, aus dem Wut herausbrodelte.
»Na gut,
bitte
nimm die Wespen von dem Kind«, sagte Sophie. »Wärst du wohl so gütig?«
Die Wespen flogen von Jinx weg – selbst die Wespe, die ihm in den Kragen gekrabbelt war, kam surrend heraus – und verschwanden.
»Warum hast du den Krug aufgemacht, Jinx?«, fragte Sophie und nahm ihn in die Hand. »Da steht doch ›Gefahr‹.«
»Das liegt in der Natur des Menschen«, sagte Simon.
»Ich hab da keine Gefahr stehen sehen«, sagte Jinx.
»Du hast was?« Sophie hielt ihm den Krug vor die Augen. »In roten Buchstaben steht da ›Gefahr‹ drauf.« Sie wandte sich zu Simon. »Willst du mir etwa erzählen, dass dieses Kind nicht lesen kann?«
Jinx war verblüfft über die glühend weiße Wutflamme, die sie auf Simon losließ.
»Im Urwald wird nicht gelesen«, sagte Simon.
»Du bist nicht besser als all die anderen! Wissen vorzuenthalten! Und wir sind hier nicht im Urwald!«
»Natürlich sind wir hier im Urwald«, sagte Simon bitter. »Oder glaubst du, ich hätte mein Haus vielleicht irgendwo anders bauen dürfen?«
»Zauberer können lesen«, sagte Sophie. »Du konntest schon lesen, bevor du nach Samara kamst und dort nach deinen magischen Antworten gesucht hast.
Wissen ist Macht
.« Wie eine Drohung schleuderte sie ihm die drei Wörter entgegen. Sie hingen zwischen ihnen in der Luft, getragen von einem Aufwind aus Wut.
Die Wut schlug gekräuselte Wellen im Zimmer, und obwohl sie sich jetzt nicht gegen Jinx richtete, bekam er davon Bauchschmerzen. Die Wörter
Wissen ist Macht
hoben sich aus den Gedanken der beiden hervor, und Jinx spürte, dass sie stechend waren und so heiß, dass man sie nicht anfassen konnte.
»Du denkst, ich bin genauso schlecht wie sie«, sagte Simon schließlich. »Und
sie
denken, ich bin noch schlimmer.«
»Unsinn, das denke ich nicht«, sagte Sophie. Ihre Stimme bebte. »Aber wenn du dem Jungen das Lesen nicht beibringst – genauso würden sie es doch auch machen. Ahnungslosigkeit finden sie ja so reizend – bei anderen.«
Jinx wusste nicht, was das mit dem Lesen zu bedeuten hatte.
Sophie sollte lieber Simon bitten, ihm das Zaubern beizubringen. Aber das würde sie natürlich nie tun. Sie fand es ja nicht mal richtig gut, dass Simon selbst zaubern konnte.
»Du bist ihm etwas schuldig. Du hast ihn hierhergebracht, von seinen Leuten weggeholt …«
»Sie wollten ihn umbringen«, sagte Simon.
»Was?«
»Sie wollten ihn umbringen.«
Sophie drehte sich zu Jinx um. »Jinx, ist das wahr?«
Jinx stand immer noch reglos da. Es kam ihm vor, als säßen immer noch die Wespen auf ihm. Wahrscheinlich würde ihm das noch wochenlang so vorkommen. Vielleicht für immer.
»Was hast du mit ihm gemacht? Er kann nicht sprechen!«
»Er kann sprechen. Antworte ihr, Jinx!«
Jinx war bestürzt über die Worte
Sie wollten ihn umbringen
. Die Leute auf seiner Lichtung hatten doch nicht versucht ihn umzubringen! Keiner hatte ihn mit einer Axt oder einem Messer bedroht. Und nur Bergthold wollte ihn im Wald aussetzen – nicht alle Leute von der Lichtung. Aber … es hatte auch niemand Bergthold davon abgehalten. Und,
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