Jodeln und Juwelen
hier gewesen, um ihr guten Tag zu sagen.«
Radunov wurde anscheinend gerade von
seiner Muse geküsst, man konnte ihn durch die offene Tür mit dem Fliegengitter
schreibend an seinem kleinen Tisch sitzen sehen. Er schaute nicht auf, als sie
vorbeigingen. Ansonsten schien niemand in der Nähe zu sein, anscheinend waren
sie alle zusammen zum Strand gegangen. Es gab einen weiteren Weg, der an den
Klippen entlang führte, hoch, kahl und einsam. Emma entschied sich für diesen
Weg. Sobald sie weit genug von den Hütten entfernt waren, nutzte sie die
günstige Gelegenheit und murmelte: »Theonia, was hältst du von der ganzen
Geschichte? Glaubst du, dass Mrs. Fath Graf Radunov tatsächlich losgeschickt
hat, um Orangensaft zu holen, oder hat er gelogen? Und wenn ja, warum?«
»Ich weiß genauso wenig wie du, meine
Liebe, und ich kann mir gut vorstellen, dass unsere Vermutungen in dieselbe
Richtung gehen. Morgen um diese Zeit werden wir sicher mehr wissen.«
»Morgen? Willst du etwa die Proben, die
du eben mitgenommen hast, bis dahin testen? Wie willst du das anstellen?«
»Ich nicht, aber Tweeters. Vielleicht
habe ich vergessen zu erwähnen, dass er später noch einmal einen kleinen
Zwischenstopp hier bei uns einlegen wird. Ich habe ihm gesagt, dass es gegen
fünf Drinks gibt. Ist das in Ordnung?«
»Natürlich. Dann haben wir vorher noch
genug Zeit, uns zu unterhalten, bevor die Gäste eintreffen. Bleibt er zum
Abendessen? Und will er hier übernachten? Ich möchte nicht ungastlich sein,
Theonia, aber wir haben leider keinen Platz mehr für ihn.«
»Keine Sorge, Emma. Ich habe nicht vor,
dir noch ein Kuckucksei ins Nest zu legen. Tweeters wird einen doppelten
Martini trinken und ein Stückchen Käse oder sonst etwas in der Art essen, weil
er wieder mal sein Mittagessen vergessen hat, und dann fliegt er auch schon
wieder zurück nach Boston, mit dem Orangensaft und den Filmen.«
»Welchen Filmen?«
»Den Filmen, die ich vollgeknipst habe.
Mit meiner kleinen Dick-Tracy-Kamera, wie Max sie immer nennt. Ist dir mein
Armband noch nicht aufgefallen?«
Emma lächelte. »Es ist kaum zu
übersehen.«
Das Schmuckstück, das Theonia an ihrem
linken Arm trug, war gute sechs Zentimeter breit, ziemlich massiv und gehörte
zu der Art Schmuck, die Klein-Em so liebte. Emma hatte angenommen, das Armband
sei aus Indien, denn es bestand aus einem schmalem, dunkelrotem Seidenband, das
um irgendetwas Dickes gewickelt war und über und über mit spiegelartigen
polierten Metallplättchen besetzt war, wie man sie oft bei Artikeln aus
Ostindien sah. Emma wäre sich mit diesem Teil etwas überladen vorgekommen, doch
Theonia konnte alles tragen und tat dies auch oft genug, so dass Emma dem
Armreif bisher keine Bedeutung zugemessen hatte.
»Willst du damit sagen, dass eines
dieser Spiegelchen ein Objektiv ist?«
»Richtig geraten, meine Liebe. Wieder
einer von Brooks klugen Einfällen. Du erinnerst dich vielleicht noch, dass er
seine erste Minikamera in eine Gürtelschnalle eingebaut hat, damit er die
Fischadlerhorste fotografieren konnte und trotzdem beide Hände frei hatte,
falls die Adlermutter ihn angreifen sollte. Die hier hat er für mich
konstruiert. Ich habe sie schon einmal getragen, doch da steckte sie in einer
riesigen Plastiksonnenbrille. Aber das Ding war einfach zu scheußlich, und man
konnte die Kamera schlecht scharfstellen, daher hat er sich diesmal für ein
Armband entschieden. Auf seine Art ist es eigentlich recht hübsch, findest du
nicht?«
»Bezaubernd«, stimmte Emma zu. »Aber
funktioniert es denn auch?«
Theonia erklärte es ihr. »Es befindet
sich ein winziges Pümpchen darin. Ich drücke nur mit den Fingern darauf oder
presse meinen Arm gegen irgendeinen Gegenstand, der gerade in der Nähe ist. Ich
schneide den Leuten zwar manchmal Köpfe und Füße ab, aber ich fotografiere sie
ohnehin mehrmals, so dass immer wenigstens ein gutes Foto dabei ist. Tweeters
weiß, wie man die Filme entwickelt, Brooks hat ihm eine ganz ähnliche Kamera
gebastelt. Für die Papageitaucher, weißt du. Tweeters Kamera steckt in seinem
altmodischen Pilotenhelm, und er aktiviert sie, indem er an dem Kinnriemen
zieht. Meistens macht er das anscheinend mit den Zähnen. Mir ist aufgefallen,
dass der Kinnriemen ziemlich mitgenommen aussieht.«
»Ein Schicksal, das uns früher oder
später alle trifft« meinte Emma. »Brooks steckt wirklich voller Überraschungen.
Aber was ist mit dem Mann im Ponystall? Du klangst eben so, als würdest du
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