Jodeln und Juwelen
Bericht.
»Franklin schaut sich Sandy an«, teilte
er Emma ohne Umschweife mit. »Er is’ gleich fertig.«
»Sie sind bestimmt unendlich
erleichtert, dass er jetzt hier ist«, meinte Emma. »Und wir sind sehr gespannt
darauf, was er sagen wird. Meinen Sie, Ihr Bruder hätte Lust auf eine kleine
Erfrischung?«
»Die beiden ham schon zu Hause
gegessen.« Vincent war offenbar nicht in Stimmung für Höflichkeiten. »Wir ham
ohnehin schon verdammt viel Zeit vertan. Wolln Sie vielleicht noch Kaffee oder
so?«
»Nein, danke, ich nicht. Aber du
vielleicht, Theonia?«
»Oh Gott, ganz sicher nicht. Ich bin
vollkommen satt. Es war der üppigste Lunch, den ich seit langem bekommen habe,
und ich habe viel zu viel gegessen. Ich hoffe nur. Ihr Bruder stellt fest, dass
es Ihrer Tochter schon wieder besser geht, Vincent.«
»Ich geh’ besser mal nachsehen.«
Sprach’s und machte sich sofort auf den
Weg. Theonia stand auf und stellte ihre leere Tasse auf das gelbe Tablett neben
die gelbe Kaffeekanne. »Ich bringe es schnell in die Küche.«
»Untersteh dich!« rief Emma. »So etwas
tut man hier nicht. Hier bleibt jeder auf seiner Seite des Zauns. Wundert mich,
dass es dir noch nicht aufgefallen ist. Ich habe mir bereits mehrere
Zaunüberschreitungen zuschulden kommen lassen und bin ziemlich direkt auf meine
Fehler hingewiesen worden.«
»Dann werde ich versuchen, dich auf
keinen Fall noch mehr zu blamieren.« Theonia ließ das Tablett stehen und setzte
sich wieder auf ihren Sessel. »Es ist wirklich interessant hier, Emma.«
»Freut mich, dass du das findest.«
Interessant war sicher nicht das Adjektiv, das Emma gewählt hätte, aber
vielleicht wusste Theonia es besser. Das hoffte sie jedenfalls inständig.
Kapitel
17
Aus dem Mund einer Ornithologengattin
konnte sich die Bemerkung auch auf die hiesige Fauna beziehen. Falls ihnen
jemand zuhörte, wäre dies sicher die beste Interpretation von »interessant«,
fand Emma. Sie fragte Theonia gerade, ob sie es für möglich halte, dass man auf
Pocapuk Bindentaucher beobachten könne, als Vincent gemeinsam mit seinem Bruder
auf die Veranda trat.
Franklin und Vincent sahen einander
sehr ähnlich, bis auf eine Kleinigkeit allerdings. Vincent war durchaus nicht
unattraktiv, doch sein Bruder Franklin war ein Bild von einem Mann. Wie dies
bei der großen Ähnlichkeit möglich war, konnte Emma sich nicht recht erklären.
Aber so wichtig war es schließlich auch wieder nicht. Sie begrüßte den Arzt
ihrer momentanen Stellung als Schlossherrin entsprechend freundlich, aber
distanziert und erkundigte sich, was er vom Zustand seiner Nichte halte.
»Ich würde mir gern mal die Schranktür
ansehen, an der sie sich Ihrer Meinung nach den Kopf gestoßen hat«, antwortete
er barsch und ganz und gar nicht höflich.
»Ich kann mich nicht erinnern, etwas
Derartiges behauptet zu haben.« Emma entschied, dass auch ihre Höflichkeit
Grenzen hatte. »Ich habe die Tür nur als Möglichkeit erwähnt, weil meine
Cousine und ich das Mädchen auf dem Boden vor dem Kleiderschrank gefunden
haben. Und die Schranktür stand offen. Sie können es sich gern selbst ansehen.
Wenn Sie mir bitte folgen würden. Theonia, am besten kommst du auch mit und
gibst Acht, dass ich nichts Unrichtiges sage.«
Sie gingen alle vier schweigend nach
oben, die beiden Frauen voran. Emma führte sie in das große, voll gestopfte
Schlafzimmer, um das Bett herum, in dem Theonia die folgende Nacht zubringen
würde, und zeigte auf die Stelle, an der sie die vermisste Sandy gefunden
hatten.
»Hier hat sie gesessen. Die Schranktür
stand offen, ungefähr so wie jetzt. Ich kann mich nicht erinnern, sie berührt
zu haben. Oder irre ich mich, Theonia?«
»Nein, soweit ich weiß, haben wir beide
nichts angerührt. Die Scharniere sind ziemlich schwergängig. Das ist mir
aufgefallen, als ich meine Sachen in den Schrank gehängt habe. Man hätte
ziemlich fest gegen die Tür drücken müssen, um den Winkel zu verändern.«
»Und wie haben Sie Sandy vorgefunden?«
wollte Franklin wissen.
Emma ließ sich prompt auf den Boden
fallen. »Genau so, den Kopf gegen das Bett gelehnt.«
Der Arzt schüttelte den Kopf. »So kann
sie sich unmöglich an der Tür verletzt haben.«
»Das weiß ich auch«, erwiderte Emma ein
wenig gereizt. »Als wir sie so fanden, nahm ich daher auch an, Sandy habe sich
auf den Boden gesetzt und gegen das Bett gelehnt, weil ihr noch schwindelig
war. Sie war zu diesem Zeitpunkt bereits eine ganze
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