Jodeln und Juwelen
ihn
kennen.«
»Das stimmt leider, aber Gott sei Dank
habe ich nicht allzu viel Zeit mit ihm verbringen müssen. Der Mann heißt Jimmy
Sorpende.«
»Sorpende? War das nicht dein — « Emma
wusste nicht genau, wie sie fortfahren sollte.
Theonia zuckte mit den Achseln.
»Richtig. Sorpende hieß mein verstorbener und eindeutig unbetrauerter erster
Mann. Jimmy war angeblich ein Neffe von Francis, doch ich hatte immer den
Eindruck, dass er in Wirklichkeit sein Sohn war und aus irgendeiner flüchtigen
Beziehung stammte. Frauen waren eins seiner Hobbys, aber seine erste große
Liebe galt dem Ausnehmen fetter alter Katzen. Jimmy und Francis waren sich sehr
ähnlich, nur dass Jimmy nicht so gut aussah wie sein so genannter Onkel.
Vielleicht hat er sich deshalb den Bart zugelegt. Ich habe keine Ahnung, was er
hier auf Pocapuk zu suchen hatte, außer deinen Schmuck zu stehlen, aber mit
Sicherheit nichts Gutes. Meine Güte, was für eine wunderschöner Blick aufs
Meer! Und da unten am Strand sind ja auch deine Schatzsucher. Ich nehme einmal
an, dass es sich um einen Strand handelt, auch wenn er so winzig ist.
Anscheinend bauen sie ein Floß.«
»Oder versuchen es zumindest.«
Emma konnte keinerlei Fortschritt
erkennen, auch wenn inzwischen zahlreiche Bretter und Stämme überall verstreut
lagen, und zwar gefährlich nah an der Hochwasserlinie. Die beiden Frauen hatten
die Stelle erreicht, wo der Weg steil zum Shag Rock Point hinabzuführen begann,
und blieben kurz stehen, um die Szene auf sich wirken zu lassen.
Everard Wont schien den Aufseher zu
spielen, jedoch wenig Erfolg zu haben. Joris Groot stritt sich gerade mit ihm
und fuchtelte dabei auf unverantwortliche Weise mit einem großen Hammer herum.
Emma war erstaunt, den eher phlegmatischen Illustrator derart aufgeregt zu
sehen. Anscheinend benahm sich Wont noch ekliger als sonst, wenn der Mann
derart außer sich war. Sendick versuchte sich an einem Holzstamm, der viel zu
schwer für ihn war, und brüllte, man solle ihm gefälligst helfen, was jedoch
niemand tat. Lisbet Quainley wirkte sichtlich genervt, unternahm jedoch nichts,
um die Lage zu verbessern.
»Ein klarer Fall von Viel Lärm um
Nichts«, konstatierte Theonia. »Sollen wir nach unten gehen und das Chaos
vollkommen machen?«
»Auf jeden Fall«, sagte Emma. »Aber
pass auf, wo du hintrittst, die Steinchen rollen einem unter den Füßen weg.«
Der Abstieg war recht beschwerlich, und
Emma bedauerte, dass Graf Radunov nicht da war, um ihnen behilflich zu sein.
Doch sie hatten gerade erst die Hälfte des Weges bewältigt, als auch schon alle
drei Männer herbeieilten, um ihnen zu helfen. Emma musste sich mit Sendick
begnügen, Theonia wurde gleichzeitig von Wont und Groot unterstützt, wie zu
erwarten gewesen war.
Es war klar, dass der Besuch von Mrs.
Kelling und ihrer Begleiterin eine willkommene Unterbrechung bedeutete. Wont
versuchte krampfhaft, seine Lippen zu einem gewinnenden Lächeln zu verziehen,
was grausige Folgen hatte. Er sollte bei seinem normalen überheblichen Grinsen
bleiben, dachte Emma, es wirkte viel natürlicher. Nachdem Joris Groot sich
vergewissert hatte, dass Theonia heil unten angekommen war, griff er nach
seinem Skizzenblock und begann, sie zu zeichnen. Sein Modell tat zwar so, als
merke sie nichts davon, doch Emma entging nicht, dass sie eine ganz besonders
elegante Haltung annahm.
Da sie nicht zurückstehen wollte, begann
auch Lisbet Quainley mit Skizzieren. Während Everard Wont Theonia einen Vortrag
über den Piraten Pocapuk und seinen Schatz hielt, den er, Everard Wont zu
finden gedachte, hatte Emma die Wahl, Black John Sendick beim Transport seines
Stamms zu helfen oder sich unauffällig im Hintergrund zu halten. Sie entschied
sich für den Hintergrund, was ihr die Möglichkeit gab, die beiden Künstler
eingehend zu beobachten.
Groots Zeichnung war akurat und
professionell, doch nur im Fußbereich wirklich interessant. Der Mann hatte
eindeutig eine Schwäche für Schuhe. Für Lisbet Quainleys Kunstwerk fiel Emma
nur das Wort gemein ein. Hatte die Frau auch nur einen Funken Talent oder
lediglich eine schmutzige Phantasie?
Emma Kelling war beileibe keine
Kunstbanausin. Sie hatte auf ihrer ausgezeichneten Privatschule eine solide
Unterweisung in Kunstgeschichte genossen, sich ihr ganzes Leben lang für Bilder
interessiert und besaß sogar einige kostbare Originale. Im Zweifelsfall war sie
durchaus gewillt, auch den unergründlichsten modernen Künstlern eine Chance zu
geben,
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