Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jodeln und Juwelen

Jodeln und Juwelen

Titel: Jodeln und Juwelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
Vom Netzwerk:
komme nach, so schnell ich kann. Hast du etwas zum Anziehen
gefunden? Ah, ich sehe schon, du hast etwas gefunden. Gut.«
    Theonia hatte sich Emmas langen
auberginefarbenen Rock ausgesucht und trug dazu eine malvenfarbige Seidenbluse.
Eigentlich waren die Farben für Theonia ein wenig zu düster, doch vielleicht verspürte
sie den atavistischen Drang, ihren verblichenen angeheirateten Ex-Neffen auf
irgendeine Weise zu betrauern. Vielleicht war er ja sogar ihr Ex-Stiefsohn
gewesen. Emma entschied, dass für sie unter den gegebenen Umständen Grau die
angemessene Farbe war. Sie benetzte ihr Gesicht mit kaltem Wasser, schminkte
sich, setzte ihre Perücke auf, legte ihre Perlenkette an und griff nach ihrer
amethystfarbenen Satinstola. Noch war ihr zwar nicht kalt, aber das konnte sich
leicht ändern. Außerdem passte die dunkle Farbe besser zu ihrem Teint als die
taubengraue Seidenbluse, die zu dem Rock gehörte.
    »Alles ist eitel«, murmelte sie,
»Jahrmarkt der Eitelkeiten. Dumme alte Frau!« Sie streckte ihrem Spiegelbild
die Zunge heraus, lockerte ihre Frisur mit den Fingern auf, legte sich die
schmeichelnde Amethyststola kapuzenartig um die Schultern, ließ die Enden wie
zusammengefaltete Flügel nach hinten fallen und machte sich auf, um Tweeters
Arbuthnot als würdige Hausherrin entgegenzutreten.
    Die Cocktails eine Stunde früher zu
reichen als sonst, war sicher ein schwerer Verstoß gegen die Tradition des
Hauses, doch Bubbles meisterte die Herausforderung hervorragend mit
Kaviarbrötchen und einer Platte mit Käsehäppchen. Den Käse hatten sie gestern
Abend frisch angeschnitten. Joris Groot nahm offensichtlich an, er sei mit von
der Partie, und hatte das Feuer bereits angezündet. Groot war der einzige
anwesende Gast, Black John spielte anscheinend tatsächlich den Freiwilligen,
und Wont und Miss Quainley überarbeiteten wohl ihren literarischen
Schlachtplan. Radunov schien bei Königin Victoria und Rasputin mehr Erfolg zu
haben als erwartet.
    Emma hoffte, dass die lieben Künstler
genau dort blieben, wo sie gerade waren. Tweeters war bereits da, Theonia hatte
ihm einen Stuhl angeboten. Er machte es sich gerade bequem, zog seine
Hosenbeine zurecht und ordnete seine alte graugrüne Cordjacke mit dem nervösen
Gerupfe und Gezupfe einer Henne, die dabei war, sich auf ihrer Stange
niederzulassen. Emma hatte den Eindruck, dass der Mann bei der Ankunft von zu
vielen Personen gleichzeitig sofort die Flucht ergreifen würde. Was schade
wäre, denn sie wollte den komischen Zugvogel gern näher kennen lernen.
    Tweeters wollte Emma ebenfalls kennen
lernen. Das war deutlich zu erkennen an der Art, wie er vom Stuhl hochflog. Wie
ein aufgescheuchter Fasan mit ausgebreiteten Flügeln und offenem Schnabel. Der
Vergleich mit einem Vogel drängte sich bei diesem Mann förmlich auf. Seine
lange, dünne Nase befand sich ungewöhnlich nah über seinem langen, dünnen Mund.
Das Kinn ging unmittelbar in einen langen, dürren Hals über, der aus einem
schlacksigen birnenförmigen Körper ragte, der wiederum auf langen spindeligen
Beinen thronte, die einem Kranich alle Ehre gemacht hätten.
    Das Auffallendste an diesem Vogelmann
waren seine Augenbrauen, eine üppige Mischung aus steifen schwarzen und weißen
Borsten, die kühn nach vorn wuchsen und Augen beschatteten, die scharf und rund
wie die eines Reihers waren. Die fliehende Stirn wurde oben auf dem Schädel von
langen, schräg nach hinten stehenden Haaren abgelöst. Eindeutig ein Reiher,
dachte Emma, die einem Vertreter dieser Gattung noch nie so nahe gekommen war.
    Tweeters gab ihr sofort
unmissverständlich zu verstehen, dass sie ausgiebig Gelegenheit haben würde,
dieses besondere Exemplar nach Herzenslust zu betrachten, solange sie wollte.
Seit ihrer Debütantinnenzeit war Emma nicht mehr derart gekonnt in eine
Sofaecke gedrängt worden. Nachdem Tweeters sie erfolgreich ins Nest geschleust
hatte, schlug er seine unglaublichen Spindelbeine übereinander und hockte sich
so nah neben sie, wie es die Höflichkeit erlaubte. Er hatte die langen
knochigen Händen auf die Knie gelegt und strahlte sie an, als sei er wirklich
ein Reiher und sie eine besonders üppige schmackhafte Froschdame.
    »Mrs. Kelling, es ist mir wirklich ein
Vergnügen«, zwitscherte er. »Ich konnte kaum erwarten, Sie zu treffen, seit
Theonia mir von Ihrem Einsatz bei der Feuerwehr von Pleasaunce berichtet hat.
Ich bin früher auch mit Begeisterung in Sprungtücher gesprungen. Vorher habe ich
immer auf dem

Weitere Kostenlose Bücher