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Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Mignola
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treffen. Der Platz stand unter Wasser, genauso wie die untersten Stockwerke des Talloires, doch das Hotel war umgebaut worden und konnte deshalb weitergeführt werden. Flüchtlinge wurden jedoch abgewiesen. Willkommen waren nur rechtmäßige Gäste, hauptsächlich Bewohner Uptowns, die sich überzeugen wollten, ob sie etwas an der Flut und Zerstörung verdienen konnten.«
    »Zaungäste und Spekulanten«, knurrte Joe, die Lippen vor Abscheu verzogen.
    Mr.   Church deutete mit dem Pfeifenstiel auf ihn. »Exakt«, sagte er, dann wandte er sich wieder Molly zu.
    »Als Cynthia am Morgen nicht zurückgekehrt war, gestand das Hausmädchen alles dem zornigen Vincent Orlov. Er fuhr ins Hotel Talloires. Als sein beharrliches Pochen an der Hochzeitssuite nicht beachtet wurde, zwang er den Hoteldirektor, ihm die Tür zu öffnen. In der Suite fanden sie Cynthias Geliebten vor, auf ebenso grässliche wie groteske Art ermordet. Seine Eingeweide waren entfernt und über seinem Leichnam drapiert worden, auf den man mit seinem eigenen Blut rituelle Symbole gemalt hatte. Von der jungen werdenden Mutter fehlte jede Spur.«
    Molly stieß den Atem aus. Ihre Kehle fühlte sich trocken an, und von all den fremdartigen Gerüchen in diesem Haus brannten ihr die Augen.
    »Er hat Sie engagiert, damit Sie seine Tochter finden«, sagte sie.
    Mr.   Church lehnte sich wieder zurück und drückte die Pfeife an die Brust wie ein geliebtes Schoßtier. »Genauso war es.«
    Schweigen senkte sich über den Raum, nur unterbrochen vom Ticken einer üppig verzierten Uhr auf dem Kaminsims. Das Geräusch wirkte eigentümlich laut, und der Raum schrumpfte plötzlich, wurde fast beengend.
    »Haben Sie das Mädchen gefunden?«
    Mr.   Churchs Blick schweifte zur Seite. Er schaute an Molly vorbei, aber nicht auf die Bücher in den Regalen hinter ihr. Es war, als würde er in eine ferne Zeit blicken, auf einen fernen Ort. Seine Miene zeigte nicht den Hauch einer Regung. Der Ölgeruch war mit einem Mal stärker geworden, und als Mr.   Church ausatmete, sah Molly, wie ein Heiligenschein aus Rauch um seinen Kopf entstand.
    »Ich fand sie. Sie war von einem furchtbaren Mann entführt worden, einem Okkultisten, der vorhatte, Mutter und Kind einem sumerischen Totengott zu opfern. Der Mann hatte sich eine uralte Quelle der Zauberkraft verschafft   – oder besser ein Mittel, um Zauberkraft zu fokussieren. Man nannte es Lectors Pentajulum. Er glaubte, mithilfe des Pentajulums könne er die Aufmerksamkeit des Gottes auf sich lenken und zu ihm reden, um ihm sein Opfer darzubieten: zwei Leben in einem Körper, ein Kind, das in seiner Mutter Leib heranwuchs, im Tausch gegen die Auferstehung seiner verstorbenen Frau.«
    Molly wurde übel. »Hat es geklappt?«
    »Vielleicht hätte es geklappt. Aber ich war schneller«, sagte Mr.   Church. »Der Mann beabsichtigte, das schwangere junge Mädchen zu ermorden und zur Opfergabe zu machen. Als ich die Tür eintrat, war sie an einen Tisch gefesselt, umgeben von den Gefolgsleuten des Okkultisten, die keinen Augenblick den rituellen Gesang unterbrachen. Der Okkultist richtete das Pentajulum auf mich, als könne er es als Waffe verwenden. Ich gestehe, dass ich einen oder zwei Atemzüge lang zögerte, doch nichts geschah.«
    Eisiges Entsetzen breitete sich in Molly aus. Die ganze Zeit hatte sie glauben wollen, dass es nur eine Geschichte sei und dass es einen einfacheren Weg zur Wahrheit gebe   – eine vernünftige Möglichkeit, Felix zu finden und zu befreien. Diese Hoffnung war nun zerstört worden.
    »Das ist   …«, sagte sie. »Das kenne ich. Ich habe diese Geschichte schon gehört.«
    Joe blickte sie merkwürdig an, als versuchte er, den Sinn ihrer Aussage zu ergründen. Mr.   Church jedoch war in seinem Nachsinnen über ein gewalttätiges Fragment seiner Vergangenheit versunken.
    »Ich habe ihn niedergeschossen«, sagte Mr.   Church. »Der Okkultist   … wie hieß er gleich? Es ist so viele Jahre her, ich erinnere nicht mehr seinen Namen.«
    »Golnik«, half Joe aus.
    Mr.   Church nickte. »Richtig. Andrew Golnik.« Er lächelte Molly zu. »Manchmal entfällt mir etwas. So wie der Wind Blätter von meinem Schreibtisch weht, so flattern mir die Tatsachen aus dem Kopf.«
    Molly nickte. »Sie haben ihn niedergeschossen. Ist er tot?«
    »Oh ja. Schon lange«, antwortete Mr.   Church. »Ich dachte, ich hätte Cynthia Orlov und ihr Baby gerettet, doch irgendetwas in ihrem Innern war während des Rituals befleckt worden.

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