Joe Golem und die versunkene Stadt
loszulassen.
Irgendwie gelang es ihm, die Luft anzuhalten, während das Wasser über ihn hinwegrauschte. Er schmeckte sein kupfriges Blut, und die Finsternis drang ebenso auf ihn ein wie der Druck, als das U-Boot immer tiefer ging. Sein Sehvermögen ließ nach, während sein Körper gegen den Griff des Todes ankämpfte; dennoch sank er genauso schnell wie das U-Boot. Nur schlaglichtartig bemerkte er eine gewaltige Höhle, die in den Schiefer gehauen war, aus dem das Grundgestein unter Manhattan bestand.
Das U-Boot glitt in die verborgene Unterwelt der Stadt. Joe sah dicke Eisenstangen und Steinplatten, und ein Geheimnis lüftete sich: Sie waren in einer jahrhundertealten untergegangenen Kanalisation, von deren Existenz weder er noch Church etwas geahnt hatten. Die Holländer , dachte Joe. Im siebzehnten Jahrhundert war New York noch Nieuw Amsterdam gewesen, von Holländern beherrscht. Die müssen das hier gebaut haben.
Er rief sich kurz die Geschichte der Stadt in Erinnerung, Jahrhunderte des Ehrgeizes, des Aufbaus und des Umbaus. Dennoch war das Sediment der Zivilisation hier nicht so tief wie in Europa. Vor den USA hatte es die Briten gegeben, vor den Briten die Holländer, und vor den Holländern die Lenape-Indianer, die ursprünglichen Herren des Landes, die verschwunden und längst vergessen waren. Sie gehörten der Vergangenheit an … und Joe spürte, wie auch er sich ihr ergab, wie er hindurchtrieb und in seinen eigenen Erinnerungen verschwand.
Joe versank, aber nicht im Wasser, sondern in sich selbst, und lange Minuten war er in tiefer Dunkelheit verschwunden. Dennoch lockerte sein Griff sich nur leicht; eisern hielt er sich weiter fest. Als er wiederzu Bewusstsein kam, versuchte er zu atmen und bekam Flusswasser in den Hals. Er hustete Wasser und Blut und schloss den Mund, aber seinen letzten Sauerstoff war er los. Ohne Luft in seinem eigenen Körper gefangen, blickte er sich um und sah durch einen offenen Torweg zu seiner Linken einen uralten, verrosteten U-Bahn-Zug. Er blickte nach unten, über den Rand der U-Boot-Flosse, und sah die Gleise. Sie hatten durch die alte Kanalisation geführt, ein versunkenes Überbleibsel der ursprünglichen U-Bahn-Linie, der Interborough Rapid Transit Company.
Sie bewegten sich an verfallenen Bahnhöfen voller Müll und Schutt vorbei. Die Abfälle mussten hier liegen, seit die U-Bahn überflutet wurde. Kein Wunder, dass wir Cocteau nie gefunden haben , dachte Joe.
Er hustete und atmete Wasser ein. Er kämpfte dagegen an, aber er musste schließlich atmen. Das Wasser schoss ihm in die Kehle, und wieder umfing ihn Dunkelheit. In seinem Innern war zu viel zerstört; zu viel Blut war in den Schlamm von Brooklyn Heights und ins Wasser unter der Versunkenen Stadt geflossen. Am Rande seiner Wahrnehmung sah Joe sich am Ufer eines anderen Flusses, und eine gespenstische Hexe riss am Lehm seines Fleisches, doch selbst als alle Vernunft ihn verließ, wusste er noch, dass es nur ein Traum gewesen war. Wie immer war es nur ein Traum.
Joe spürte, wie die Kerze in ihm heftig flackerte; sie war fast schon erloschen.
Und dann ging sie aus.
Seine Finger lösten sich, er verlor den Halt und glitt vom U-Boot weg, trieb im Wasser. Er wurde merkwürdig schwer, unheimlich schwer, begann zu sinken und kam neben Gleisen zur Ruhe, die ins Nirgendwo führten.
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Kapitel 13
I m merkwürdigen Innenleben von Simon Churchs Brust schepperte es laut. Er schmeckte Rauch, wo er Dampf hätte schmecken sollen, und roch brennendes Öl. Er rückte den Sessel vom Schreibtisch ab und starrte an sich hinunter, als könnte er mit Blicken erkennen, was ihm fehlte.
»Nein«, sagte er, die Brauen voll Zorn und Unbehagen zusammengezogen.
Was hier geschah, durfte nicht geschehen. Auf gar keinen Fall. Die Zauber waren wirksam, die Sigille in seine Haut tätowiert. Er trank die Tinkturen, für die er wie immer nur frischeste Kräuter verwendet hatte, und sprach die Beschwörungen, die von Priestern des assyrischen Arkanums überliefert waren. Er hatte der antiken Medizin nachgeholfen, indem er seine Organe, als sie versagten, durch Zahnräder und Pumpen ersetzt hatte, die mit moderner Chemie und alter Arkanistik betrieben wurden. Die Mechanismen erforderten nur wenig Wartung und versagten nie. Niemals.
Ein Schmerzanfall packte ihn, und er presste eine Hand auf die Brust. Taumelnd erhob er sich und schlug mit der Faust auf die Stelle, an dereinst sein Herz gesessen hatte. Er spürte, wie dort irgendetwas
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