Joe - Liebe Top Secret
können. Wenn sie sich die Enttäuschung des Mädchens vorstellte, sollte sie herausfinden, dass der Prinz ein Hochstapler war …
„Ich würde liebend gern dein Land sehen“, sagte Cindy in förmlichem Schulfranzösisch.
Oje. Veronica stand auf. „Cindy, ich bin sicher, dass Prinz Tedric dich auch sehr gern in seinem Land begrüßen würde. Aber er sollte wirklich Englisch üben, jetzt da er in Amerika ist.“
Joe sah sie an. „Schon gut“, murmelte er, bevor er sich wieder Cindy zuwandte. „Ich weiß eine Möglichkeit, wie du mein Land kennenlernen kannst“, sagte er in fließendem Französisch. Sein Akzent war tadellos – er hörte sich an, als wäre er in Paris geboren worden. „Schließ die Augen, und ich erzähle dir alles über mein schönes Ustanzien. Dann siehst du es, als wärst du dort.“
Veronica stand der Mund offen. Joe sprach Französisch ? Joe sprach Französisch ? Sie schloss den Mund und hörte still zu, wie er die Berge in Ustanzien, die Täler und Ebenen fast poetisch beschrieb – sowohl auf Französisch als auch auf Englisch, zu schwierige Wörter übersetzte er für das kleine Mädchen.
„Das hört sich wundervoll an“, sagte Cindy seufzend.
„Das ist es“, erwiderte Joe. Er lächelte wieder. „Wusstest du, dass ein paar Leute in meinem Land auch Russisch sprechen?“ Als Nächstes wiederholte er seine Frage in perfektem Russisch.
Veronica musste sich setzen. Russisch? Welche Sprachen beherrschte er denn noch ? Oder sollte sie vielleicht lieber überlegen, welche Sprachen er nicht konnte …
„Sprichst du Russisch?“, fragte er das kleine Mädchen.
Sie schüttelte den Kopf.
„Sag ‚da‘.“
„Da“, wiederholte sie.
„Das ist russisch und bedeutet ‚Ja‘“, erklärte er ihr und lächelte. Es war ein offenes und warmes Lächeln, typisch für Joe – nicht Tedrics verkniffenes Lächeln. „Jetzt sprichst du Russisch.“
„Da“, sagte sie wieder und lächelte strahlend.
Ein FInCOM-Agent trat an die Tür. Als Joe aufsah, zeigte der Mann auf seine Uhr.
„Ich muss jetzt gehen“, sagte Joe. „Es tut mir leid, dass ich nicht länger bleiben kann.“
„Schon okay“, erwiderte Cindy, doch ihr stiegen wieder Tränen in die Augen.
Joe verspürte einen Stich im Herzen. Er war nur dreißig Minuten hier gewesen, um Cindy zu besuchen. Als sie das Programm festgelegt hatten, wollte McKinley nur fünf Minuten für Saint Mary einräumen. Doch Veronica war unnachgiebig geblieben, sodass sie die volle halbe Stunde hatten. Aber jetzt erschien ihm nicht einmal eine halbe Stunde lang genug.
„Ich bin so froh, dass ich dich kennengelernt habe“, sagte Joe und lehnte sich vor, um sie auf die Stirn zu küssen, bevor er aufstand.
„Euer Hoheit …?“
„Ja, Mylady?“
„Ich habe in den Nachrichten gehört, dass es gerade viele hungrige Kinder in Ustanzien gibt“, sagte Cindy und mühte sich mit den Worten ab.
Joe nickte ernst. „Diese Nachrichten stimmen. Meine Familie versucht, das in Ordnung zu bringen.“
„Ich mag es nicht, wenn Kinder Hunger haben“, sagte sie.
„Ich auch nicht“, erwiderte Joe mit heiserer Stimme. Der Sturm in ihm wurde stärker. Wie konnte dieses Kind an den Kummer und Schmerz anderer denken, wenn es selbst so starke Schmerzen erlitt?
„Warum teilen Sie nicht einfach Ihr Essen mit ihnen?“, fragte Cindy mühsam.
„Es ist nicht immer so einfach.“ Aber das weiß sie schon, dachte Joe. Unter allen Menschen auf der Welt weiß sie es am besten.
„Das sollte es aber“, erwiderte sie.
Er nickte. „Du hast recht. Das sollte es.“
Einen Moment lang schloss sie die Augen. Der Augenlid-knicks.
Joe verbeugte sich. Was sollte er jetzt sagen? Bleib gesund? Das wäre ein mehr als schlechter Scherz. Wir sehen uns bald wieder? Eine Lüge. Sowohl er als auch das Mädchen wussten, dass sie sich nie mehr begegnen würden. Der Zorn und der Frust stiegen ihm in den Hals und erschwerten ihm das Sprechen. „Auf Wiedersehen, Cindy“, brachte er hervor. Dann ging er zur Tür.
„Ich hab dich lieb, Prinz“, sagte Cindy.
Joe blieb stehen, drehte sich noch einmal um und zwang sich zu lächeln. „Danke“, erwiderte er. „Ich bewahre mir diesen Tag wie einen Schatz, Cindy, für immer. Und ich trage dich für immer in meinem Herzen.“
Das kleine Mädchen lachte glücklich.
Irgendwie gelang es Joe, so lange zu lächeln, bis er das Zimmer verlassen hatte. Irgendwie schaffte er es, den Gang hinunterzugehen, ohne mit der Faust gegen eine Wand
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