Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war
rasch über die Straße, springt über den Schneewall, und dort ist das rote Fahrrad. Das Fliegende Pferd. Mit dem er in diesem Frühling herumfahren will.
Er ist schon mehrere Male im Laden gewesen und hat nach dem Preis gefragt, und er weiß, daß es nur ein bißchen teurer ist als die anderen Fahrräder, die im Fenster ausgestellt sind. Die Schwierigkeit wird nicht darin bestehen, Papa Samuel dazu zu bringen, ihm gerade dieses Fahrrad zu kaufen. Die Schwierigkeit besteht darin, überhaupt ein Fahrrad zu bekommen. Papa Samuel braucht viel Zeit, ehe er sich entscheidet. Aber wenn er sich einmal entschieden hat, dann spielen fünfzig Kronen keine Rolle mehr.
Es gibt allerdings noch eine weitere Gefahr. Anton Wiberg hat nur ein einziges rotes Fahrrad. Von den anderen Rädern gibt es mehrere. Es kommt also darauf an, das rote Fahrrad zu kaufen, ehe es ein anderer tut. Plötzlich stellt sich Joel vor, wie Otto auf dem roten Fahrrad angeradelt kommt. Das ist ein schrecklicher Gedanke, den er möglichst nicht denken will. Alles hängt von Papa Samuel ab, der immer soviel Zeit braucht, um sich zu entscheiden, denkt Joel. Wenn es nur ein rotes Fahrrad gibt, dann muß man sich rasch entscheiden.
Joel wirft einen letzten Blick auf das Fahrrad und geht dann um das Haus herum, weil er mal muß. In einer kaputten Glaskuppel leuchtet eine Glühlampe über dem Hintereingang. Joel pinkelt in den Schnee und versucht, dabei seinen Namen zu schreiben. Joel ist nicht schwer, aber es reicht nur gerade für die Hälfte vom Nachnamen, dann ist er fertig. Mit einem Fuß schabt er Schnee über die gelben Buchstaben und knöpft sich die Hose zu. Ohne daß ihm recht bewußt ist, was er tut, geht er hin und drückt die Türklinke herunter. Vielleicht tut er das, weil er Angst hat, jemand könnte das Fliegende Pferd stehlen.
Zu seiner Verwunderung stellt er fest, daß die Hintertür nicht abgeschlossen ist. Er kann den ganzen Laden überblicken. Die Fahrräder, die beleuchtet im Schaufenster stehen, den Tresen und die Kasse.
Mit Herzklopfen schließt Joel die Tür hinter sich, geht leise am Tresen vorbei, hin zu dem Fahrrad, das seins werden soll.
Es riecht so gut nach Gummi und Öl. Der Sattel ist mit einem Stück Papier bedeckt, damit er nicht schmutzig wird.
Jetzt laß ich einfach das Denken, sagt Joel zu sich selbst. Jetzt tu ich einfach das, wozu ich mich sonst nicht traue. Vorsichtig hebt er das Fahrrad aus dem Schaufenster und schiebt es zur Hintertür. Vorsichtig öffnet er sie einen Spalt und späht hinaus. Es hat fast aufgehört zu schneien. Vorsichtig trägt er das Fahrrad die Treppe hinunter, drückt den Dynamo gegen den Reifen, und dann fährt er los. An der Kreuzung hält er an und lauscht, ob ein Auto kommt. Aber alles ist still, und er fährt weiter. Es ist schwer, das Denken sein zu lassen.
Jetzt bin ich ein Dieb, denkt er, während er den Hang zum Bahnhof hinaufstrampelt. Er versucht sich damit zu beruhigen, daß er das Fahrrad gar nicht stehlen wollte, nur mal ausprobieren.
Vielleicht sollte er einen Zettel für Anton Wiberg schreiben und an die Tür hängen? Daß die nächtliche Patrouille des Geheimbundes eine unverschlossene Hintertür entdeckt und die ganze Nacht Wache gehalten hat wegen der Diebe…
Er ist so aufs Fahren konzentriert, damit er nicht umfällt und dem Fahrrad nichts passiert, daß er ganz vergißt, nach Autos zu lauschen.
Plötzlich, von nirgendwoher, kommen zwei Scheinwerfer genau auf ihn zu. Er erschrickt und fährt hastig an den Straßenrand.
Jetzt sitz ich in der Klemme, denkt er verzweifelt, und ich kann mich nirgends verstecken.
Das Vorderrad rutscht gegen den Schneehaufen, und ohne daß er recht weiß, wie es zugeht, fällt er in den Schnee und das Fahrrad auf ihn. Er hört, wie das Auto hinter ihm bremst. Eine Autotür wird geöffnet, und knirschende Winterschuhe kommen auf ihn zu.
Papa, denkt er. Das hab ich nicht gewollt. Ich wollte nicht stehlen, ich wollte nur…
»Ist dir was passiert?« hört er plötzlich eine Stimme fragen.
Als er hochguckt, steht der alte Maurer vor ihm, die Wintermütze bis zu den Augen heruntergezogen.
»Hast du dir weh getan?« fragt er. »Und wieso fährst du hier mitten in der Nacht herum?«
Joel spürt einen starken Arm, der ihn aus dem Schneehaufen hochzieht.
Simon Urväder ist verrückt, denkt er, er wird mich totschlagen.
»Na, es war wohl nicht so schlimm«, sagt Urväder. »Aber fahr jetzt nach Hause und geh ins Bett! Ich frag dich nicht, was
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