Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war
du hier mitten in der Nacht treibst. Das geht mich nichts an. Ich fahr ja selbst mit dem Laster rum, weil ich nicht schlafen kann. Geh jetzt!«
Der alte Maurer brummt etwas und geht zurück zu seinem Laster und fährt weg. Joel schiebt das Fahrrad. So schnell er kann, trägt es die Treppe hinauf, öffnet die Hintertür und stellt es zurück ins Schaufenster. Er versucht, es mit seiner Mütze abzuwischen. Aber der Lack hat Kratzer abgekriegt, dagegen kann er nichts machen. Jeden Augenblick erwartet er, daß Anton Wiberg lautlos hinter ihm auftaucht.
Ich bin übergeschnappt, denkt er und merkt, daß er vor lauter Angst anfängt zu heulen. Er wischt und reibt. Das Fahrrad will und will nicht trocken werden. In dem Augenblick guckt er zufällig durchs Fenster hinaus auf die leere Straße. Da kommt der Hund angelaufen.
Der einsame Hund, der unterwegs zu einem Stern ist. Joel weiß sofort, daß es genau der ist und kein anderer. Es gibt nur den einen, er gleicht keinem anderen, selbst wenn er wie ein ganz gewöhnlicher Lappenhund aussieht. Plötzlich bleibt der Hund stehen und schaut sich um. Einen kurzen Moment lang glaubt Joel, daß er ihn geradewegs ansieht, durchs Schaufenster. Dann läuft der Hund weiter.
Joel stürzt zur Hintertür hinaus, stolpert auf der Treppe und fällt vornüber hin.
Als er auf die Straße kommt, ist der Hund weg. Die Straße liegt verlassen da. Joel geht zur Straßenlaterne. Aber dort sind keine Spuren von irgendwelchen Pfoten. Keine Spuren von einem Hund…
Joel läuft durch die Nacht, und es hat wieder angefangen zu schneien.
Später in seinem Bett ist er davon überzeugt, daß der Hund dort war, er hat ihn gesehen. Ein Hund, der unterwegs ist zu einem Stern, hinterläßt vielleicht keine Spuren.
Die Angst löst sich auf. Der alte Maurer kann nicht wissen, daß es ein gestohlenes Fahrrad war, mit dem er in den Schneehaufen gefahren ist. Und daß er seinen Namen in den Schnee gepinkelt hat, kann auch niemand herauskriegen. Wenn er aufwacht, wird der Schnee die gelben Spuren zugedeckt haben. Mich erwischt keiner, denkt er. Den Hund gibt es. Und das Abenteuer, das große Abenteuer hat begonnen…
4
Einige Tage später schlief Joel in der Schule ein. Wie das passiert ist, wußte er nicht. Plötzlich saß er einfach da und schlief mit offenem Mund.
Es war in der Religionsstunde, und Frau Nederström war rot vor Zorn, als sie ihn an der Schulter rüttelte. Sie hatte einen kleinen Pickel auf der Stirn, gleich unterm Haaransatz. Wenn ihr Gesicht rot und der Pickel weiß wurde, dann wußten alle, daß sie sehr wütend war. »Joel«, brüllte sie. »Joel Gustafson! Wie kannst du es wagen, mitten im Unterricht zu schlafen?«
Er wurde mit einem Ruck wach. Im ersten Augenblick konnte er gar nicht glauben, daß er geschlafen hatte. In der Schule geschlafen?
»Nein«, sagte er, »ich hab nicht geschlafen.«
»Lüg mir nicht auch noch mitten ins Gesicht. Du hast geschlafen. Die ganze Klasse hat es gesehen.« Joel drehte sich um.
Er war umgeben von verlegenen Gesichtern, grinsenden Gesichtern, neugierigen Gesichtern.
Gesichter, die bestätigten, daß Frau Nederström die Wahrheit gesagt hatte.
Er wurde hinausgeworfen, und Frau Nederström drohte, sie wolle seinen Papa anrufen.
Darauf sagte Joel nichts. Daß sie kein Telefon hatten, sollte sie nur allein herauskriegen.
Er setzte sich im leeren Flur auf den Fußboden und musterte die Schuhe, die dort aufgereiht standen. Er überlegte, daß er sich für all die grinsenden Gesichter rächen könnte, indem er die Schuhe durcheinanderbrachte. Oder sie auf den Schulhof warf. Aber er beschloß, es nicht zu tun.
Statt dessen holte er das Logbuch des Geheimbundes hervor, das er in der Tasche hatte. Am Morgen hatte er vergessen, es in »Celestines« Glasvitrine zu legen.
Er suchte in den Jacken, die im Flur hingen, bis er einen Bleistift fand. Dann schrieb er:
»Ausschau aus dem Besanmast gehalten. Joel Gustafson fiel übermüdet aus seinem Korb, überlebte jedoch ohne schwerere Verletzungen. Nach nur wenigen Stunden Ruhe war er bereit, wieder in den Mast zu klettern.« Was er da schreibt, hat er fast wortwörtlich in einem Buch gelesen, das zu Hause in dem kleinen Bücherregal steht und in dem Papa Samuel oft blättert. So schreibt man in ein geheimes Logbuch, denkt Joel.
Nur Eingeweihte verstehen, daß es darum geht, wie er hinausgeworfen wurde.
Gut war das nicht. Es ist zwar besser, als eine Brille tragen zu müssen oder zu stottern, aber
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