Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
nicht an Gott glaubte. Einmal, als Samuel betrunken war, hatte er einen Eimer an die Wand geworfen und gebrüllt und geschrien, daß es keine Götter gebe. Wenn Frau Nederström recht hatte, dann bedeutete das, daß Samuel eine verlorene Seele war.
Was eine verlorene Seele war, wußte Joel nicht. Aber er begriff, daß er darüber nachdenken mußte, was er eigentlich von Gott hielt, nachdem der Ljusdalbus ihn ein Mirakel hatte erleben lassen.
Nach dem Mittagessen, als Samuel auf der Küchenbank eingeschlafen war, nahm Joel das Logbuch aus der Glasvitrine der »Celestine«. Auf der letzten Seite, auf der er all seine Fragen aufschrieb, war fast kein Platz mehr. Nur ein einziges Wort und ein Fragezeichen paßten noch dorthin. » Gott ?«
Wurde man einem Mirakel ausgesetzt, sollte man ihm danken.
Aber wenn nun Joel wie Samuel war, eine verlorene Seele, wie sollte er sich dann verhalten ?
Wie dankt man einem Gott, an den man vielleicht gar nicht glaubt?
Und was passiert, wenn man sich nicht bedankt? Wird das Mirakel zurückgezogen, und man wird noch einmal vom Ljusdalbus überfahren?
Joel seufzte. Das waren zu viele Fragen. Zu große Fragen. Er wünschte, es gäbe einen Tag in der Woche, an dem alle Fragen verboten wären.
Dann legte er das Logbuch zurück und ging in sein Zimmer. Er begann, eine alte Karte zu zerschneiden. Jetzt wollte er das Rund-um-die-Erde-Spiel erfinden. Plötzlich war Samuel wach geworden und stand in der Tür. »Was tust du ?« fragte er. »Ich mach ein Spiel«, antwortete Joel.
»Du denkst hoffentlich nicht mehr an das Unglück?«
»Das war doch kein Unglück.«
»Was war es denn ?«
»Ich hab keine Schramme abgekriegt. Dann kann es doch kein Unglück gewesen sein ?«
Samuel sah aus, als ob er nicht wüßte, was er antworten sollte. »Du mußt versuchen, nicht mehr dran zu denken«, sagte er. »Und wenn du Alpträume hast, weck mich.« Samuel ging in sein Zimmer und drehte das Radio an. Er wollte die Abendnachrichten hören. Joel stellte sich an die Tür. Würden sie etwas über das Mirakel sagen, das sich ereignet hatte? Aber es kam nichts. Das Mirakel war wahrscheinlich zu klein.
Am nächsten Tag ging er wie immer in die Schule. Er vermied es, an der Bierstube vorbeizugehen, damit er den eingebeulten Laternenpfahl nicht sehen mußte. Außerdem fürchtete er auch ein bißchen, der Bus könnte ihn noch einmal überfahren.
Er mußte sich etwas ausdenken, wie er sich für das Mirakel bedanken konnte. Und ihm mußte schnell was einfallen. Als er in die Schule kam, umarmte Frau Nederström ihn. Das war noch nie passiert.
Sie drückte ihn so fest an sich, daß er kaum Luft kriegte. Sie benutzte ein Parfüm, das sehr stark roch, und Joel gefiel es überhaupt nicht, umarmt zu werden. Seine Klassenkameraden sahen feierlich aus, und Joel hatte ein Gefühl, als ob sie Angst vor ihm hätten, als ob er ein Gespenst wäre. Ein wandelnder Schatten. Das wäre gleichzeitig gut und schlecht.
Jemand zu sein, den alle beachteten, das war gut. Aber es war schlecht, wenn man erst ein Geist werden mußte, damit sie einen beachteten.
Das Ganze wurde auch dadurch nicht besser, daß Frau Nederström sagte, Joel möge Gott danken, daß er überlebt hatte.
Hoffentlich fordert sie mich nicht auf, es hier vor der Klasse zu tun, dachte Joel. Das tu ich nicht.
Aber sie ließ ihn in Frieden. Er konnte aufatmen. Es war schwer, sich im Unterricht zu konzentrieren. Und in den Pausen schienen ihm die Klassenkameraden aus dem Weg zu gehen. Sogar Otto machte einen Bogen um ihn. Das alles gefiel Joel gar nicht.
Wenn die Leute glaubten, man hätte eine ansteckende Krankheit, nur weil man ein Mirakel erlebt hatte, dann konnte er gut darauf verzichten.
Es war natürlich dieser verdammte Eklund mit seinen großen roten Händen. Der hatte nicht aufgepaßt. Wenn man einen Bus fuhr, konnte es leicht passieren, daß jemand angerannt kam, der es eilig hatte, weil er sich für zwei Schachteln Hustenbonbons bedanken mußte. Lernten die Busfahrer denn gar nichts, ehe sie ihren Führerschein bekamen?
Nach der Schule schlenderte Joel nach Hause. Er mußte sich etwas Gutes ausdenken, um sich für das Mirakel zu bedanken. Und es mußte schnell gehen. Vielleicht war ihm schon anzusehen, daß er sich noch nicht bei Gott bedankt hatte.
Mißmutig ging er zum Fluß hinunter und setzte sich auf seinen Stein. Er mußte mit jemandem über dieses Mirakel reden.
Nicht mit Papa Samuel. Das würde nicht gehen. Er mochte nicht über Gott
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