Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
entlocken, die man kennen musste, um Rock-König zu werden. Nicht zuletzt, wie alt Elvis Presley gewesen war, als er das erste Mal aufgetreten war.
Er ging den Hügel schneller hinunter. Eine Sache wollte er noch erledigen, ehe er nach Hause und kochen musste. Er wollte Ehnströms Laden einen Besuch abstatten und nachschauen, ob die neue Verkäuferin noch da war. Dass er sie nicht nur geträumt hatte.
Wie gewöhnlich drängelten sich viele Tanten im Laden. Aber diesmal machte es nichts, da Joel nicht einkaufen wollte. Sie war noch da. Und jetzt, da er sie heimlich betrachten konnte, merkte er, dass sie schön war. Er konnte sie sich sehr gut in durchsichtigen Schleiern tanzend vorstellen. Er spürte, wie ihm heiß wurde. All dies Sonderbare, das sich in ihm abspielte, und immer noch hatte er nicht herausbekommen, was es war. Früher oder später musste er mit Samuel darüber sprechen. Auch wenn es nicht ganz sicher war, ob er überhaupt eine Antwort wusste.
Aber die Verkäuferin war noch da. Er wusste immer noch nicht, wie sie hieß. Aber das würde er herausbekommen. Und wo sie wohnte.
Eine der dicken Tanten stieß ihn an.
»Pass doch auf«, sagte sie wütend. »Musst du direkt hinter mir stehen?«
»You are nothing but a Hound Dog«,
antwortete Joel aufmüpfig.
Dann verdrückte er sich schnell. Ging nach Hause. Das war ein guter Tag gewesen. Er hatte alles erledigt, was er sich vorgenommen hatte.
Schon morgen konnte er damit anfangen, Ehnströms neue Verkäuferin zu beschatten.
Aber vorher hatte er noch eine wichtige Aufgabe. Er musste Gertrud besuchen. Die in einem kleinen Haus auf der anderen Seite des Flusses wohnte. Und die keine Nase hatte. Sie wollte er noch heute Abend besuchen.
6
Die Eisenbahnbrücke türmte sich vor Joel auf.
Dort brütete sie wie ein versteinertes Urzeittier. Das Mondlicht blinkte in den mächtigen Eisenbogen. Einmal war Joel hilflos auf einem der Bogen herumgeklettert.
Schließlich war Samuel hinaufgeklettert und hatte ihn gerettet.
Joel schauderte bei dem Gedanken. Wenn er heruntergefallen wäre, gäbe es ihn nicht mehr. Er wäre wie Lars Olsson gewesen. Ein Skelett unten in der kalten Erde mit einem Stein über dem Kopf.
Joel Gustafsson. Im Alter von elf Jahren gestorben.
Joel fand, der Tod war schwerer zu begreifen als das Leben, und das war schon kompliziert genug. Sich selbst als Nichts vorzustellen — das ging nicht. Außerdem war man so lange tot. Das war das Schwerste von allem. Lars Olsson war schon zwanzig Jahre tot. Länger, als Joel bisher gelebt hatte. Aber es gab viele, die waren schon hunderte von Jahren tot. Wenn man nur nicht so lange tot sein müsste, dachte Joel, während er nachdenklich die Eisenbahnbrücke betrachtete. Dann wäre es vielleicht zu ertragen.
Er schaute zum Mond. Es war sieben Uhr. Er hatte Mittag mit Samuel gegessen. Jetzt war er auf dem Weg zu Gertrud. Es war schon mehrere Wochen her, seit er sie zuletzt gesehen hatte.
Er nahm Anlauf und sprintete los. Er konnte schneller laufen, wenn er sich vorstellte, er würde verfolgt. Er hatte eine große Auswahl.
Jetzt stellte er sich eine Kavallerie von dicken Frauen vor, die auf ihren Pferden hinter ihm angeritten kamen, die Einkaufstaschen zum Schlag erhoben.
Er hatte das andere Ufer des Flusses erreicht. Die dicken Frauen verschwanden aus seinem Kopf. Er lief einen kleinen Weg hinunter, der dem Fluss nach links folgte. Dort lag Gertruds Haus in einem verwilderten Garten mit Ebereschen und Johannisbeerbüschen. Und in ihrem Fenster war Licht. Sie war zu Hause.
Joel holte Luft, bevor er an dem Lederriemen zog, der vor der Tür hing. Sofort begann das Glockenspiel dort drinnen zu spielen. Dann hörte er Gertrud rufen, er solle hereinkommen.
Wie viele Male Joel Gertrud in ihrem Haus besucht hatte, er wusste es nicht. Aber es waren viele Male gewesen. Und es hatte in dieser unglückseligen Nacht begonnen, als Ture ihr Ameisen aus einem gefrorenen Ameisenhügel durchs Fenster geworfen hatte. Doch das war schon lange her. Ture wohnte nicht mehr im Ort. Gertrud und Joel waren Freunde geworden.
Gertrud war eine bemerkenswerte Person. Nicht nur, weil sie keine Nase hatte. Nur ein Loch, das sie mit einem Taschentuch verbarg. Oder mit einer roten Clownsnase, wenn sie guter Laune war. Sie hatte ihre Nase bei einer misslungenen Operation verloren. Jetzt lebte sie allein hier im Haus auf der anderen Seite des Flusses. Sie war dreißig geworden und sagte manchmal zu Joel, sie fühle sich alt.
Joel
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