Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
kannte keinen anderen Menschen, der wie Gertrud war. Er wusste, dass die Leute hinter ihrem Rücken über sie redeten. Weil sie manchmal in komischen Kleidern herumlief, die sie selbst genäht hatte. Weil sie einen ausgestopften Hasen in einem Vogelbauer und eine Spielzeuglokomotive in einem Aquarium hatte. Und vor allen Dingen darüber, weil sie sagte, was sie fand und meinte. Obwohl es häufig genau das Gegenteil von dem war, was die anderen fanden und meinten. Aber Joel fand Gertrud auch anstrengend. Manchmal fand er, dass sie in allem, was sie tat, zu weit ging. Joel selber hatte ständig Angst, nicht so zu sein wie die anderen. Was er dachte und tat, wenn er allein war, das war die eine Sache. War man jedoch mit anderen zusammen, durfte man nicht auffallen. Gertrud war die beste Freundin, die er hatte. So richtig gefiel ihm das nicht. Er hätte lieber einen anderen besten Freund gehabt. Wenigstens einen mit Nase. Aber nun war es einmal, wie es war. Außerdem hörte Gertrud ihm immer zu. Sie lachte nicht über ihn, jedenfalls nicht boshaft, wenn er etwas Dummes sagte. Er selber fand, das tat er allzu oft.
An diesem Abend hatte Joel beschlossen, Gertrud von seinen Neujahrsgelübden zu erzählen.
Aber vielleicht nicht von allen dreien. Er wusste immer noch nicht, ob er von Ehnströms neuer Verkäuferin erzählen sollte. Die schon, nur in durchsichtige Schleier gehüllt, in seinem Kopf tanzte. Joel war nicht sicher, wie Gertrud reagieren würde. Das war das Einzige, worüber er und sie noch nie gesprochen hatten, über andere Frauen.
Gertrud saß in ihr apfelsinenfarbenes Sofa gekuschelt und las in der Bibel. Joel hatte nie richtig begriffen, was es bedeutet, religiös zu sein. Über die Frage nach Gott grübelte er auch hin und wieder nach. Seltsamerweise geschah es am häufigsten, wenn er kein Geld hatte. Als ob Gott daran schuld war. Dass ihm eine Krone für den Kinobesuch fehlte.
Aber in diesem Augenblick waren seine Neujahrsgelübde wichtiger.
Gertrud legte die Bibel weg. Über dem Loch, wo früher die Nase gewesen war, trug sie heute ein kariertes Taschentuch. Sie hatte es zu einem Ball zusammengerollt und hineingedrückt.
»Ich hab schon gedacht, du hättest mich vergessen«, sagte sie. »Es ist lange her, seit ich dich zuletzt gesehen habe.« »Wir haben so viel für die Schule zu tun«, antwortete Joel. Was ja auch fast stimmte. Aber nicht ganz. In Wirklichkeit waren einige Wochen vergangen, ohne dass er an Gertrud gedacht hatte.
»Aber jetzt bist du da«, fuhr sie fort. »Und das bedeutet natürlich, dass du irgendwas mit dir herumträgst?« Joel nickte. Dann erzählte er von seinen Neujahrsgelübden. Sie hörte zu, den Kopf wie üblich geneigt und das Kinn in die Hand gestützt.
Erst mal ließ Joel die Sache mit Ehnströms Verkäuferin aus.
»Gibt es eine Altersgrenze?«, fragte er. »Um Rock-König zu werden? Oder Verkäufer von Wohnwagen?«
»Man kann vielleicht zu alt sein«, antwortete sie, »aber nicht zu jung.«
Er wusste, dass Gertrud Elvis Presley mochte. Manchmal hatten sie gemeinsam Schallplatten gehört und versucht herauszufinden, was die Texte bedeuteten. Oft war es schwer. Die Lieder schienen von gar nichts zu handeln. »Elvis hat wahrscheinlich schon gesungen, als er im Bauch seiner Mutter war.«
Die Antwort gefiel Joel nicht. Sie war allzu unbestimmt.
»Aber dann? Als er geboren war?«
»Der hat bestimmt immer gesungen.«
Joel begriff, dass Gertrud ihm keine bessere Antwort geben konnte. Deshalb ging er über zu den Wohnwagen. Er erklärte, dass das eigentlich Samuels Idee war. »Da könnte was dran sein«, sagte sie. »Aber besonders lustig kommt mir das nicht vor, auf einem Parkplatz rumzulaufen, auf dem ein Haufen Wohnwagen stehen. Und sie dann verkaufen müssen. Woher willst du so viel Geld kriegen, um sie zu kaufen?«
»Ich will sie nicht kaufen. Ich will sie verkaufen.« »Aber zuerst musst du doch was haben, was du verkaufen kannst? Und was du verkaufen willst, musst du erst kaufen.«
Das hatte Joel nicht bedacht. Ihm würde ja wohl niemand Wohnwagen gegen das Versprechen, sie später zu bezahlen, zur Verfügung stellen. Das entschied die Sache. Er brauchte nicht mehr zu zögern.
Er würde Rock-König werden. Er erzählte, dass er schon bei Kringström gewesen war. Zuerst wollte er Gitarre spielen lernen. Dann wollte er singen üben.
»Ich wusste gar nicht, dass du besonders gut singen kannst«, sagte sie vorsichtig.
»Elvis singt auch nicht gut«, sagte Joel
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