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Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Titel: Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Fenster geöffnet wurde. Es war natürlich der Windhund. Auch aus großer Entfernung konnte er sehen, dass sie grinste. »Kringström ist unterwegs«, sagte sie. »Du musst schon bei jemandem anders Gitarre spielen lernen.« »Wo ist er?«, rief Joel.
    »Sag ich nicht«, rief sie zurück. »Aber er ist in Brunflo.« Joel wusste, dass das weiter nördlich lag. Ob es ein großer Ort war, wusste er allerdings nicht. Das war ihm aber auch egal. Kringström hätte zu Hause sein und ihm eine Gitarre geben sollen. Eine Gitarre! Joel blieb jäh stehen.
    Er hatte ja gar keine Gitarre! Zu Hause bei Kringström hatte er auch keine gesehen. Das war das einzige Instrument, das Kringström nicht spielte, weil es alle anderen spielten. Und außerdem, weil sich die meisten mit Musik beschäftigten, die er nicht mochte. Rock 'n' Roll.
    Joel schlurfte den Hügel hinunter. Wie hatte er so dumm sein können, das Wichtigste zu vergessen? Dass er gar keine Gitarre hatte! Bei ihm zu Hause gab es nur eine verrostete Mundharmonika. Kannte er jemanden, der eine Gitarre besaß? Gertrud nicht, keiner seiner Schulkameraden, niemanden konnte er fragen. Akkordeon gab es. Und Geige. Und die eine oder andere Mundharmonika. Aber keine Gitarre. Er hielt mitten im Schritt inne. Irgendwo hatte er eine Gitarre gesehen. Das wusste er. Die Frage war nur, wo. Zu Hause bei wem? Er ging langsamer um sich zu konzentrieren. Dachte sich durch alle Häuser, in denen er in den letzten Jahren gewesen war. Dann erinnerte er sich.
    Simon Urväder hatte eine Gitarre. Sie hing an der Wand in seinem seltsamen Haus draußen im Wald. Ob man auf der noch spielen konnte, wusste Joel nicht. Er konnte sich nicht mal daran erinnern, ob sie noch Saiten hatte. Aber es war eine Gitarre. Aus rotbraunem Holz. Fast schwarz. Genau wie auf der Plattenhülle mit Elvis Presley. Wo er »That's All Right Mama« sang. Aber vielleicht war es auch »Hound Dog«. Er war unten am Hügel angekommen. Von hier aus konnte er die Kirchturmuhr sehen. Jetzt war es zu spät für einen Besuch bei Simon Urväder. Aber trotzdem war es eine Erleichterung, dass er in seiner Erinnerung eine Gitarre gefunden hatte. Morgen würde der Windhund anfangen die Geschichte herumzutratschen. Er würde ausgelacht werden, wenn er nicht mal eine Gitarre hatte.
    Joel blieb im Schatten neben einem halb zusammengebrochenen Milchschemel stehen. Er wartete, während der Bus nach Ange vorbeiratterte. Hinterher knöpfte er die vier Knöpfe an seinem Hosenschlitz auf. Eigentlich hätten es fünf sein sollen. Aber einer war weg.
    Dann pinkelte er und zeichnete eine gelbe Gitarre in den Schnee. Es reichte fast für die ganze Gitarre. Aber als er zu dem Kopf kam, wo die Saiten gespannt wurden, hatte er keinen Tropfen mehr übrig. Er blieb noch eine Weile stehen, ehe er seinen Hosenschlitz zuknöpfte. Dachte daran, was er am Abend machen würde. Es war ein Gefühl, als ob er an einem Mückenstich kratzte. Dasselbe komische Gefühl. Rasch knöpfte er den Hosenschlitz zu, bevor er ganz starr wurde. Dann sah er sich besorgt um. Stand jemand im Schatten und hatte ihn gesehen?
    Etwas Entsetzlicheres konnte er sich kaum vorstellen. Dass der Windhund zum Beispiel dahinter kam, was er trieb. Dann konnte er sich gleich neben Lars Olsson auf dem Friedhof begraben lassen. Aber ohne Stein, der verriet, wer dort begraben lag.
    Um halb sechs hatte er das Essen für Samuel fertig und einen Zettel geschrieben, den er mitten auf den Küchentisch gelegt hatte.
    Ich hab schon gegessen. Ich bin in der Bibliothek. Joel.
Er war an Ort und Stelle, als sie kam. Sie wiegte sich und warf die Haare im Gehen zurück. Als er die Hand in die Tasche steckte, stieß er auf sein Geld.
    Sofort machte er sich wieder Sorgen. Wenn es nun nicht reichte. Er wusste immer noch nicht, wer hätte kommen sollen. Sein falscher Bruder, der sechzehn Jahre alt war und Allan hieß.
    Er wartete. Versuchte an die Stiefel zu denken, die er zusammen mit Samuel kaufen würde. Aber er hatte die ganze Zeit Schleier vor den Augen. Durch die er noch nicht hindurchschauen konnte.
    Es wurde sechs und es wurde halb sieben. Jetzt begann er zu frieren. Er beschloss, sich diese Nacht nicht abzuhärten. Nicht mal eine Stunde. Außerdem hatte er ja ein halbes Jahr Zeit. Wenn er sich nur jede dritte Nacht abhärtete, wurden es trotzdem mehr als hundert Male in einem Jahr. Dann versuchte er auszurechnen, wie viele Tage, Wochen und Monate vergingen, bis das Jahr 2045 da war. Wie viele waren schon

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