Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
er konnte.
»Du hast ein Loch im Strumpf«, sagte sie plötzlich. Scheiße, dachte Joel. Sie hat's gesehen.
»Sag deiner Mama, sie soll es stopfen«, fuhr sie fort. »Ich sag's ihr«, sagte Joel.
Sie schlug den Katalog zu und gähnte. »Ich kann ja die Weihnachtszeitung der Familie nehmen«, sagte sie. »Die schenk ich Klara zu Weihnachten.«
Joel streckte sich nach dem Katalog und holte einen Stift hervor. »Dann schreib ich den Namen auf«, sagte er. » Klara Ehnström.«
Joel war verwirrt. »Wenn du die Zeitung bestellst, muss ich deinen Namen aufschreiben«, sagte er.
»Sonja Mattsson«, sagte sie. »Svensvallsweg 19. Reicht das?«
»Das reicht.«
Sie hieß nicht Salome. Aber Sonja war fast dasselbe. Fing mit demselben Buchstaben an.
Joel war jetzt nicht mehr so nervös. Wenn er nur nicht so nötig gemusst hätte.
»Bist du aus Stockholm?«, fragte er.
»Ich hoffe, das hört man«, sagte sie.
»Bist du für immer hierher gezogen?«
»Ich musste eine Weile weg. Und Ehnströms sind Verwandte von mir. Aber wie lange ich bleibe, das weiß ich nicht.
Kommt ganz drauf an.«
» Kommt worauf an?«
Sie hatte sich eine neue Zigarette angezündet. »Meine Güte, bist du neugierig«, sagte sie.
Joel wurde rot. Er hatte ein Gefühl, als würde er sich jeden Moment in die Hose pinkeln. Wenn er jetzt nicht ging, gab es eine Katastrophe.
»Ich muss jetzt gehen«, sagte er und stand auf. »Magst du Elvis?«
»Gibt's jemanden, der den nicht mag?«
»Ich glaub, ich werde Rock-König«, sagte Joel. »Ich hab grad angefangen zu üben.«
Sie lachte. Joel konnte nicht erkennen, ob es spöttisch war oder nicht. »Dann kannst du vor mir auftreten«, sagte sie.
»Ja«, antwortete Joel. »Wenn ich mit Üben fertig bin.« Dann stürzte er in den Vorraum und zog seine Stiefel an. Es war kurz davor, dass er es nicht mehr halten konnte. Sie stand beim Vorhang, der das Zimmer vom Vorraum trennte, und sah ihn an.
Als Joel seine Jacke anzog, merkte er, dass einer seiner Fäustlinge gleich aus der Tasche fallen würde. Sofort hatte er eine Idee. Sie war ins Zimmer gegangen, um ihre Zigarette auszudrücken. Joel nahm den Fäustling hervor und versteckte ihn hinter ein paar Mützen oben auf der Garderobe. Jetzt konnte er wiederkommen. Und dann würde er nicht so dringend müssen.
»Grüß Allan«, sagte sie. »Hoffentlich geht's ihm bald besser.«
»Bestimmt«, antwortete Joel.
Er öffnete die Tür. Dann drehte er sich um. »Ich möchte gern lernen, wie man in Stockholm redet.«
»Das schaffst du nie«, sagte sie.
»Ich schaffe alles«, antwortete Joel. Dann knallte er die Tür zu und stürmte mit dem Katalog in der Hand die Treppen hinunter. Als er draußen war, drückte er sich gegen die Hauswand.
Manchmal gab es nichts, das schöner war als Pinkeln.
Dann ging er nach Hause. Er freute sich schon auf den nächsten Tag und er merkte, dass er wieder hüpfte wie ein Ball. Es machte nichts mehr, dass die Stiefel zu eng waren. Er würde neue kriegen. Und Sonja Mattsson würde in ihrem Sessel sitzen und rauchen, wenn er wiederkam. An dem Tag, an dem er zum ersten Mal vor ihr spielte und sang, würde sie anfangen zu heulen und ihm die Kleider vom Körper reißen wollen. Er überlegte, wann er zuletzt so guter Laune gewesen war. Aber er konnte sich nicht erinnern.
Er nahm die Treppe in drei riesigen Sprüngen und stürmte durch die Tür. Samuel würde am Radio sitzen und Joel würde sich neben ihn setzen. Von Sonja Mattsson würde er nicht erzählen. Auch nicht davon, dass er angefangen hatte sich abzuhärten und beschlossen hatte, Rock-König zu werden. Er wollte nur, dass Samuel sah, wie ein wirklich froher Mensch aussah. Das würde ihm gut tun. Nach einem langen, schweren Tag draußen im Wald.
Aber als Joel in die Küche kam, blieb er jäh stehen. Samuel war nicht zu Hause.
Sofort spürte Joel einen Stich im Magen. Samuel war immer zu Hause, außer mittwochs, wenn er zu Sara ging. Er war immer zu Hause. Wenn er nicht…
Joel hatte keine Kraft, den Gedanken zu Ende zu denken. Samuel war nicht zu Hause, wenn er trank. Dann konnte er zu allen möglichen Zeiten rund um die Uhr auftauchen. Joel wurde es eiskalt vor Angst. Hatte er wieder angefangen zu saufen? Seitdem er Sara getroffen hatte, war es doch so gut gegangen.
Die Angst schlug in Wut um. Es durfte einfach nicht so sein.
Er guckte ins Schlafzimmer. Aber Samuel lag nicht in seinem Bett und schlief.
Am liebsten hätte Joel angefangen zu weinen. Dieser verdammte
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