Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
wirklich begriffen, dass es nicht leicht war, mit Samuel zusammenzuleben. Das hatte er selbst lernen müssen. Und wie war das mit Sara, der Kellnerin aus der Bierkneipe zu Hause, die es auch nicht mit ihm ausgehalten hatte?
Wahrscheinlich liegt es daran, dass er sich schlampig rasiert, dachte Joel. Rasiert man sich schlampig, ist man mit allem anderen auch schlampig.
Er tastete seine Wangen ab. Immer noch nur Flaum. Er würde sich nie schlampig rasieren. Lieber würde er mit einem Bart herumlaufen.
Joel überlegte, was er tun sollte. Samuel den Brief zeigen? Oder das Gleiche mit dem Brief machen, was Samuel mit dem Brief von Elinor gemacht hatte? Ihn zeigen. Aber nicht sagen, was drinsteht.
Er ging wieder ins Hotel. Er hatte gesehen, dass in einer der Schreibtischschubladen Briefpapier lag. Und Samuel hatte einen Füller. Er würde Jenny sofort antworten. »Hoffentlich waren es gute Neuigkeiten«, sagte der glatzköpfige Mann hinter dem Tresen. Jedes Mal, wenn er Joel sah, wurde er freundlicher.
»Sie könnten gar nicht besser sein«, antwortete Joel.
Er saß vor dem Schreibtisch, ein Blatt Papier vor sich und den Füller in der Hand. Eigentlich wollte er nicht Samuels Füller benutzen, wenn er an Jenny schrieb. Aber er hatte nichts anderes. Was sollte er eigentlich schreiben? Er las noch einmal Jennys Brief. Hörte ihre Stimme. Was hatte Samuel ihr zugeschrien? Dass sie ein Haufen Scheiße war. Konnte man so was wirklich zu einer Frau sagen? Dann war Samuel ein Büffel. Hatte er das mehr als zehn Jahre geplant? Dass er zu Mama Jenny sagen wollte, sie sei ein Haufen Scheiße?
Joel beschloss ein für alle Mal, dass Samuel unbegreiflich war. Er hatte einen unbegreiflichen Papa. Ein Mensch, den niemand verstand. Ein Büffel.
Er fürchtete, er könnte den Büffel geerbt haben. Vielleicht gab es in ihm auch so einen. Bis jetzt war es nur ein Kalb, dessen Hörner noch nicht richtig ausgewachsen waren. Aber eines Tages würde er auch rumlaufen und Frauen beschimpfen, wie es sich nicht gehörte.
Jetzt wusste er, was er schreiben sollte. Und er würde aufpassen, dass er keine Schreibfehler machte.
Als er fertig war, las er noch einmal durch, was er geschrieben hatte.
An Jenny Rydén.
Ich möchte gern sagen, dass ich nicht so ein Büffel bin wie mein Vater, Samuel Gustafson. Ich brülle nie. Ich möchte dich gern wieder sehen.
Grüße von Joel Gustafson
Das musste reichen. Außerdem hatte er keine Schreibfehler gemacht. Er steckte den Brief in ein Kuvert und klebte es zu. Unten in der Rezeption konnte er eine Briefmarke kaufen. Auf der Straße nah beim Hotel hatte er einen Briefkasten gesehen. Er ging hin und warf den Brief ein. Jetzt war es getan.
Als Samuel aus dem Krankenhaus zurückkam, war Joel gerade essen gewesen. Er hatte sich in eine andere Bierstube getraut. Aber das Essen hatte genauso geschmeckt. Samuel trug einen Hut auf dem Kopf. Einen grauen Hut mit einem hellblauen Band. Joel starrte ihn an. Der Hut hing Samuel über die Ohren.
»Wo hast du den denn gefunden?«, fragte Joel. »Gefunden?«, sagte Samuel. »Den hab ich gekauft. Und er war viel zu teuer. Aber ich dachte, ich sollte mir mal was gönnen.« »Und dann kaufst du dir einen Hut?«
Samuel stellte sich vor den Spiegel. »Ist er nicht schön?«
»Er ist schön. Aber wozu willst du den tragen?«
»Ich will ihn eben tragen.«
»Draußen im Wald?«
»Wenn ich gut angezogen bin. Sonntags.«
Joel seufzte. Samuel war ein ganz und gar unbegreiflicher Mensch. Er zog sich sonntags nie fein an. Er ging nie spazieren. Der Hut würde auf der Hutablage landen. Und dort würde er liegen bleiben. Joel wechselte das Thema. »Was haben sie im Krankenhaus gesagt?«
»Sie geben mir Bescheid. Per Brief. Wir können jetzt also nach Hause fahren.«
Samuel ging an Joel vorbei und setzte sich auf den Stuhl. Sofort merkte Joel, dass Samuel nach Bier roch. Das bedeutete, dass er nicht den ganzen Tag im Krankenhaus gewesen war. Aber seine Augen waren noch nicht rot. Also war er nicht betrunken. »Hast du was gegessen?«, fragte Samuel. »Ja. Und du?«
»Nein. Aber ich hab keinen Hunger.«
Das ist nicht wahr, dachte Joel. Samuel lügt genauso schlecht, wie er sich rasiert. Er hat gegessen und Bier getrunken. Und wahrscheinlich einen Haufen Kerle eingeladen, die er nicht kannte. Außerdem hat er gesagt, er sei Seemann. Zufällig auf Landgang.
»Hast du noch Geld?«, fragte Joel. Jetzt hatte er Angst, sie könnten das Hotelzimmer nicht bezahlen, wenn sie noch
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