Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
einige Nächte blieben.
»Wir haben noch genug«, sagte Samuel. »Und morgen fahren wir nach Hause.«
Joel wurde klar, dass er nicht länger warten durfte. Er musste mit Samuel reden. Jetzt oder nie. »Wann gucken wir uns die Schiffe an?«
»Das können wir morgen machen. Und dann fahren wir nach Hause.«
Er will nicht, dachte Joel. All dies Gerede, dass ich erst mit der Schule fertig sein muss. Dann würden wir umziehen und Samuel würde wieder Seemann werden. Nur Gerede. Nichts mehr.
Joel holte Luft. »Ich fahre nicht mit«, sagte er. »Ich krieg in ein paar Tagen mein Seefahrtsbuch. Dann fahre ich. Ich kann nicht mehr auf dich warten.«
Samuel sah ihn lange an. Allmählich begriff er, dass Joel es ernst meinte. Er war still. Es war, als ob er in sich zusammenkröche.
»Das ist ja eine Überraschung«, sagte er nach einer Weile. »Wieso? Du hast doch auch davon geträumt. Und ich hab geglaubt, du würdest mitkommen.«
»Ich muss auf den Brief vom Krankenhaus warten.« Ein Glück für ihn, dass er was hat, worauf er warten muss, dachte Joel. Aber sonst hätte er was erfunden. Irgendeine Ausrede, um es wieder hinauszuziehen.
Samuel schien plötzlich neue Kräfte zu bekommen. »Wir machen es so«, sagte er. »Erst fahren wir nach Hause und planen es in aller Ruhe. Ich kündige und dann fahren wir nach Göteborg. Dort gibt es mehr Schiffe als hier. Stockholm ist nichts. Man soll nicht auf dem erstbesten Schiff anheuern. Dann fahren wir los. Am liebsten mit einem Pott, der nach Südamerika fährt. Das sind gute Schiffe. Gute Schiffe und gute Häfen. Und man muss auch wissen, für welche Reederei man sich entscheidet. Es gibt gute Schiffe und schlechte Schiffe. So machen wir es, finde ich.« Joel hörte ihm zu. Er hatte sich auf die Bettkante gesetzt. Alles, was Samuel sagte, waren nur Worte. Worte, die nie irgendwo hinführen würden, am allerwenigsten auf eine Gangway. Samuel wollte nicht. Oder traute sich nicht. Oder konnte nicht mehr. Oder es war alles zusammen.
Er tat Joel Leid. Aber er konnte jetzt nicht mehr zurück. Dann würde es ihm wie Samuel ergehen. Er würde in dem Haus am Fluss bleiben. Zuerst würde er Laufjunge im Farbengeschäft werden. Und dann? Was immer geschah, er würde bleiben. Und wenn er selbst Kinder hatte, würde er ihnen nicht mal auf der Seekarte zeigen können, wo er einmal als Seemann gewesen war. »Was meinst du?«, fragte Samuel.
»Ich komme nicht mit. Ich kann nicht mehr warten.« Es wurde wieder still.
»Wo willst du wohnen? Während du wartest?« Die Antwort ergab sich von selbst. »Vielleicht wohne ich solange bei Mama.«
Jetzt sprach er es aus. Zum ersten Mal. Nicht Jenny. Nicht Jenny Rydén. Sondern Mama. Samuel sagte eine ganze Weile gar nichts.
»Dann bin ich allein«, sagte er schließlich. »Und ich hab dich all die Jahre aufgezogen. Jetzt verlässt du mich. Und ziehst zu deiner Mama.«
»Ich will zur See gehen. Vielleicht kriege ich bald eine Arbeit auf einem Schiff, ohne dass ich lange warten muss.« »Ich werde allein sein«, sagte Samuel.
Joel spürte, dass es schwer wurde. Wenn Samuel anfing sich selbst Leid zu tun, dann konnte er endlos jammern. »Du willst ja nicht wieder zur See gehen. Daran bin ich doch nicht schuld.«
»Ich werde allein sein«, wiederholte Samuel.
Joel hatte Lust ihn zu schlagen. Ihn anzuschreien. Aber erst einmal musste er ihn dazu bringen, mit der Jammerei aufzuhören. Alles war besser als das hier.
»Wir gehen raus«, sagte er. »Und du kannst ein Pilsner trinken. Aber nur eins. Wenn du mehr trinkst, geh ich.«
Samuel stand auf.
»Gute Idee«, sagte er. »Wenn man in Stockholm ist, sollte man nicht im Hotelzimmer sitzen.«
Sie gingen in dieselbe Bierstube. Samuel trank Bier, Joel Limonade. Es gab nicht mehr viel zu sagen. Die Entscheidung war gefallen. Das wussten sie beide.
Aber hin und wieder dachte Joel, dass er eigentlich mit Samuel zurückfahren müsste. Wie würde Samuel allein fertig werden? Wer würde einkaufen? Wer würde ihn nach Hause schleppen, wenn er zu viel getrunken hatte? Joel versuchte eine Lösung zu finden. Aber es gab keine. Nicht nur er wurde jetzt erwachsen. Auch Samuel müsste anfangen, allein fertig zu werden.
Joel ließ Samuel zwei Pilsner trinken. Aber nicht mehr. Dann gingen sie zurück zum Hotel.
Sie lagen lange wach. Keiner von ihnen sagte etwas.
Der Zug fuhr um 15.22 Uhr.
Da wusste Joel, dass er bei Jenny wohnen konnte. Er hatte sie morgens angerufen. Diesmal war Eva am Telefon, und dann kam
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