Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
mit.«
»Ich will mich nicht streiten. Aber das eine oder andere muss ausgesprochen werden.«
»Was?«
»Es gehört sich nicht, das zu tun, was sie getan hat. Und dann nicht mal von sich hören zu lassen. All diese Jahre.« »Sie hat sich nicht getraut.«
Samuel sah wütend aus. »Woher weißt du das?«
Joel fuhr fort, Jenny Rydén zu verteidigen.
»Das hat sie gesagt.«
»Dass sie sich nicht getraut hat?«
»Ja.«
Samuel knurrte etwas, das Joel nicht verstand. Dann war es still.
Er ist wohl doch nicht so krank, dachte Joel. Sonst hätte er keine Kraft sich so aufzuregen.
Samuel goss Wasser aus einer Karaffe in ein Glas und nahm ein paar Tabletten.
»Wie sollen wir sie morgen besuchen, wenn du noch mal ins Krankenhaus musst?«
»Das hab ich eben auch überlegt«, sagte Samuel. »Am besten ist wohl, du rufst sie an und redest mit ihr.« »Ich soll sie anrufen?«
»Ich hab wirklich keine Lust, mit ihr zu telefonieren.«
»Warum nicht?«
»So, wie sie sich verhalten hat.«
»Aber das ist doch mehr als zehn Jahre her.«
Samuel war aufgestanden und zum Fenster gegangen. Es dauerte eine Weile, ehe er antwortete.
»Ich hab niemanden so gern gehabt wie sie«, sagte er, Joel den Rücken zugekehrt. Er hörte, dass Samuels Stimme zitterte. Samuel drehte sich um. Seine Augen waren blank. »Es ist am besten, du rufst an«, sagte er. »Währenddessen kann ich überlegen, ob ich sie wirklich treffen will.« Joel stand auf um zu gehen.
»Hat sie nicht nach mir gefragt?«, sagte Samuel.
»Nicht viel.«
Samuel nickte. »Geh jetzt«, sagte er.
Joel stand in der Telefonzelle und wählte die Nummer. Während er darauf wartete, dass jemand abhob, brach ihm der Schweiß aus. Was sollte er eigentlich zu Jenny Rydén sagen? Und wie sollte er sie nennen?
Aber es war nicht sie, die sich meldete. Er hatte vergessen, dass er plötzlich zwei Schwestern bekommen hatte. »Maria«, hörte er eine Mädchenstimme sagen.
Joel knallte den Telefonhörer auf. Es war, als ob ihn jemand gebissen hätte. Wenn er nicht wusste, wie er Jenny Rydén nennen sollte, wie sollte er dann seine Schwestern nennen, die er vor wenigen Stunden bekommen hatte? Dann war ihm noch eine Frage durch den Kopf geschossen. Wussten sie, dass es ihn gab? Dass sie ihrerseits einen Bruder bekommen hatten? Vielleicht hatte Jenny Rydén nie erzählt, dass es oben in Norrland einen Jungen gab, der Joel Gustafson hieß?
Was hatte der Mann im Umkleideraum gesagt? Dass Jenny Rydén zwei Töchter hatte. Aber von einem Sohn hatte er noch nie etwas gehört.
Joel verließ die Telefonzelle. Er war plötzlich ganz niedergeschlagen. Nicht genug damit, dass sie abgehauen war oder nie von sich hatte hören lassen. Sie hatte so getan, als ob es ihn gar nicht gäbe.
Joel Gustafson war ein Geheimnis. Er war ganz hinten in einem Schrank versteckt. Die Niedergeschlagenheit ging in Wut über.
Ich bin ziemlich lange ohne Jenny Rydén zurechtgekommen, dachte er. Ich werde auch in Zukunft gut ohne sie fertig. Wenn ich zur See fahre, werde ich ihr eine Bananenspinne schicken, eine große, haarige Spinne. Mit Grüßen. Von dem Jungen im Schrank. Joel setzte sich aufs Sofa. Was sollte er tun? Vielleicht sollten er und Samuel lieber den Brief von Elinor aus Göteborg vergessen. Aber das war auch nicht gut.
Schwerfällig stand Joel auf und ging wieder in die Telefonzelle. Er zählte bis zehn, schüttelte den Telefonhörer, als wäre es ein Feind, und wählte erneut. Dieselbe Mädchenstimme meldete sich. »Ich möchte mit Jenny Rydén sprechen.«
»Bist du Joel?«
Er zuckte zusammen. Sie wusste also, dass es ihn gab. Aber wie lange wusste sie es? Ihm fiel ein, dass ihn ja auch sein Dialekt verriet.
»Ich bin deine Schwester«, sagte Maria. »Wann treffen wir uns?«
»Darüber wollte ich mit Jenny reden.«
»Du sprichst so komisch.«
Scheißgör, dachte Joel. »Kann ich mit Jenny sprechen?« »Ich hol sie.«
Joel musste sich zwingen, nicht wieder aufzulegen. Dann kam Jenny. Joel erzählte, was los war. Dass Samuel morgen wieder ins Krankenhaus musste.
»Ist es ernst?«
»Nein. Sie wollen ihm nur eine Blutprobe entnehmen. Aber er fragt, ob wir uns stattdessen heute Abend treffen können.«
Sie dachte nach, ehe sie antwortete. Im Hintergrund hörte er Maria. Und da war noch eine Stimme, die musste Evas sein.
Machen die einen Krach, dachte er. Wenn ich da bin, muss es still sein. Das werd ich ihnen aber sagen. »Ja«, sagte Jenny. »Es geht gut. Aber ich möchte Samuel zuerst
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