Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
hinaus auf die Treppe. Als er auf die Straße kam, fragte er sich, was eigentlich passiert war. Nichts war so gewesen, wie er es sich vorgestellt hatte.
Aber er wusste, dass er es trotzdem ins Logbuch schreiben würde.
Amsterdam.
jetzt ist es erledigt.
24. August 1959. 22.10 Uhr
Er kehrte zum Bahnhof zurück und suchte nach dem richtigen Bahnsteig. Kurz nach Mitternacht ging er die Gangway hinauf. Frans stand an der Reling und rauchte. »Wie war's?«, fragte er. »Gut«, antwortete Joel. »Verdammt gut.«
Dann ging er in seine Kajüte, ehe Frans ihn noch mehr fragen konnte. Aber er meinte zu hören, wie Frans an der Reling vor sich hin gluckste.
Immer noch wartete Joel auf die Nachricht: nächste Reise nach Liberia. Aber es blieb weiter bei Narvik, Bristol und Gent. Ab Mitte September fuhren sie nur noch zwischen Narvik und Luleå hin und her. Es dauerte vierzehn Tage. Joel hatte die Hoffnung fast aufgegeben. Ende November begann er darüber nachzudenken, ob er abmustern und sich eine neue Reederei suchen sollte. Eine, die die Laderäume ihrer Schiffe nicht nur mit Erz belud.
In dieser ganzen Zeit hatte Joel von Samuel nur einen Brief bekommen. Er war Ende Oktober gekommen. Samuel schrieb, dass alles in Ordnung sei. Aber sonst nicht viel mehr. Joel beschlich das Gefühl, dass es keinesfalls war, wie Samuel schrieb. Wie wurde er eigentlich ganz allein fertig? Wer kochte für ihn? Hatte er auch nicht vergessen, kaltes Wasser in den Grützetopf zu gießen?
Am meisten beunruhigte Joel die Frage, ob Samuel trank oder nicht. Wer passte auf ihn auf, jetzt, wo Joel nicht mehr in der Nähe war?
Er hatte schon fast beschlossen abzumustern. Aber da kam die Nachricht, dass die nächste Reise nach Liberia ging. Dort würden sie über Weihnachten sein. Joel zögerte nicht. Darauf hatte er doch gewartet. Wenn er erst einmal in Afrika gewesen war, konnte er abmustern und Samuel besuchen.
Er schrieb Briefe an Samuel und Jenny. Sie hatte schon mehrere Briefe geschrieben, aber nie hatte sie sich zu seiner Forderung, Samuels Bild an die Wand zu hängen, geäußert. Oder mitgeteilt, dass der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt weg war.
Joel hatte auch nie wieder danach gefragt. Irgendwann würde er es mit eigenen Augen sehen. Er erzählte von der Reise, die bevorstand.
Die Reise nach Liberia. Die Reise ans Ende der Welt.
Am Tag vor Heiligabend 1959 kam Joel nach Afrika. Linksseits des Schiffes war die afrikanische Küste wie eine lockende Fata Morgana zu sehen. Jeden Morgen, wenn Joel aufwachte, war es wärmer als am Tag zuvor. Auch das Meer änderte seine Farbe. Es wurde heller. Das Blau wurde langsam grün. Er sah Delfine und fliegende Fische. Jeden Abend stand er achtern an Deck und schaute zum Sternenhimmel hinauf.
Am 20. Dezember schrieb er in sein Logbuch:
Manchmal denke ich an diesen Hund. Den ich einmal gesehen zu haben meinte. Unterwegs zu einem Stern. Aber damals war ich ein Kind. Da wusste ich es nicht besser. Hier funkeln die Sterne genauso klar wie zu Hause im Winter. 20. Dezember. Knapp südlich von den Kap-Verde-Inseln. 22.30 Uhr
Jede freie Minute ging Joel an Land. Er wanderte durch das Menschengewimmel, sog all die fremden Gerüche ein und wunderte sich über die schönen Frauen, die riesige Lasten auf ihren Köpfen trugen. Er kaufte Muscheln für seine kleinen Schwestern, ein farbenprächtiges Hüfttuch für Jenny und eine Trommel für Samuel. Heiligabend schrieb er in sein Logbuch:
Liberia.
Jetzt weiß ich, dass ich mich richtig entschieden habe. Auf dem nächsten Schiff will ich Jungmann werden. Eines Tages kann ich vielleicht eine Ausbildung zum Steuermann machen. Nach Weihnachten fahre ich nach Hause und hole Samuel. Er hat vergessen, wie es war. Ich werde ihn erinnern.
24. Dezember 1959
In Liberia verliebte sich Joel.
Jedes Mal, wenn er an Land ging, kam ein Mädchen auf ihn zu und fragte ihn, ob er jemanden brauchte, der seine Kleider wusch. Er sagte nein. Aber sie war hartnäckig und kam jeden Tag wieder. Sie hieß Milena. Und sie war sechzehn.
Sie unterhielten sich auf der Pier. Nicht mehr. Aber Joel fühlte sich an Sonja Mattsson erinnert, obwohl sie ganz schwarz war.
Am Abend vor Silvester lichteten sie die Anker und wandten den Bug nordwärts. Milena sah ihm von der Pier nach. Joel hatte ihr etwas Geld gegeben, weil er begriffen hatte, dass sie arm war.
Pirinen stand neben ihm an der Reling und rauchte. »Wann kommen wir wieder hierher?«, fragte Joel. Pirinen grinste. Er hatte gesehen,
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