JörgIsring-UnterMörd
bin ich ja auch noch da.«
Dahlerus sah ihn verständnislos an. »Nichts zu befürchten? Was soll das
denn heißen?«
Göring blies die Backen auf. »Sie dürfen das jetzt nicht überbewerten,
aber ich halte Ribbentrop für einen hinterhältigen Vogel. Um seine Ziele zu
erreichen, geht er über Leichen. Es wird ihn ganz schön wurmen, dass der Führer
so hohe Stücke auf Sie hält. Aber wie gesagt: Wir passen auf Sie auf.«
Der Schwede
schüttelte den Kopf. Görings Art, ihn zu beruhigen, war eher dazu angetan, ihm
schlaflose Nächte zu bereiten. Dahlerus stellte sich vor, wie Ribbentrops
Agenten ihn zur Strecke brachten. Schließlich hatte Göring gesagt, der Außenminister
würde über Leichen gehen. Dahlerus' Hoffnung war, dass diese Einschätzung in
die Kategorie fiel, die der Feldmarschall ausgezeichnet beherrschte:
Geschwätz. Der Schwede beschloss, die Sache nicht zu vertiefen.
»Wie geht es jetzt weiter?«
»Heute Abend wird Hitler Henderson seine Antwort übermitteln. Die Dinge
nehmen ihren ordnungsgemäßen Lauf. Es ist alles in bester Ordnung.«
»Ihr Optimismus in allen Ehren, aber zum Durchatmen scheint es mir zu
früh.«
Göring legte Dahlerus eine Hand auf die Schulter. »Mein lieber Dahlerus,
Sie sind ein sehr vorsichtiger Mann geworden. Dabei sind kleine Rückschläge bei
einer so heiklen Angelegenheit völlig normal. Sie müssen lernen, den Menschen
zu vertrauen, sonst werden Sie keine Ruhe finden. Vertrauen ist der Schlüssel
zur inneren Ausgeglichenheit, glauben Sie mir. Nehmen Sie Hitler und mich: Wir
vertrauen Ihnen blind.« Der Feldmarschall verstärkte den Druck seiner Hand.
»Gemeinsam werden wir das Kind schon schaukeln.«
Nach dem Besuch bei Göring fuhr Dahlerus zur englischen Botschaft, um
Nevile Henderson kennenzulernen. Bisher hatte der Schwede den britischen
Diplomaten nicht persönlich getroffen, er wusste aber, dass Henderson
gemäßigte Ansichten vertrat, was das Auftreten Hitler gegenüber anging. Wenn man
den deutschen Diktator behandele wie einen Teufel, dann benehme er sich
irgendwann wie einer, lautete sein Credo. Henderson hatte, wenn Dahlerus sich
recht erinnerte, einmal als Anwalt in Deutschland gearbeitet und galt als
leicht aufbrausend. Zur Überraschung des Schweden wirkte der Diplomat mit
seiner hageren Statur und seinem distinguierten Auftreten wie eine Kopie
Neville Chamberlains. Dass beide denselben Vornamen trugen, amüsierte Dahlerus
zusätzlich.
Während die beiden in Hendersons Arbeitszimmer miteinander sprachen,
kraulte der Botschafter, der einen müden und abgeschlagenen Eindruck auf den
Schweden machte, einen dicken Dackel. Nachdem beide sich vorgestellt und
Höflichkeiten ausgetauscht hatten, kam Dahlerus zur Sache. Er wollte hören,
wie ein erfahrener Diplomat die Situation beurteilte.
Henderson klang resigniert. »Hitler lügt, wenn er den Mund aufmacht. Das
dürfen Sie nie vergessen. Ich bin diese ständigen Lügen so leid, das können
Sie sich kaum vorstellen. Das Schlimme dabei ist, dass Hitler alle diese
Hirngespinste und Unwahrheiten so geschickt mit der Wirklichkeit vermengt, dass
niemand mehr durchsteigt. Nicht mal mehr er selbst. Mein Motto lautet daher:
Traue niemandem. Sie wären gut beraten, es genauso zu halten.«
Dahlerus dachte an die Tirade über das Vertrauen, die Göring ihm eben
gehalten hatte. »Ich habe Hitler kürzlich erlebt. Ich weiß, was Sie meinen.«
Henderson schüttelte den Kopf. »Das glaube ich kaum. Sie kennen ihn nicht
so, wie ich ihn kenne. Potenzieren Sie ihre schlimmsten Vorstellungen um den
Faktor zehn, dann kommen Sie der Sache näher. Hitler spielt ein rücksichtsloses
Spiel. Um seine Ziele zu erreichen, ist ihm jedes Mittel recht.«
»Demnach räumen Sie den derzeitigen Annäherungsversuchen keine große
Zukunft ein?«
Henderson
schwieg. Er überlegte einen Moment. »Es ist meine Pflicht, nichts unversucht zu
lassen. Ich bin auch nur ein Mensch. Ich kann mich täuschen.«
Dahlerus hatte nicht geahnt, dass es so schlimm um Henderson stand.
Offensichtlich war dessen konziliante Herangehensweise einem düsteren
Pragmatismus gewichen. Der Schwede hakte nach. »Glauben Sie, dass Hitlers
Meinung sich beeinflussen lässt? Zum Beispiel durch Hermann Göring?«
»Ehrlich gesagt, bin ich da sehr skeptisch. Ich halte Göring zwar nicht für
ganz so kriegsbesessen wie Hitler oder Ribbentrop, aber ich rechne nicht damit,
dass er sich durchsetzen kann. Göring geht den Weg des geringsten Widerstands,
das hat er immer
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