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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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Gruppen von jeweils Gleichen, die Angst vor Andersartigen, die die Beamten bei den Beamten, die Anwälte bei den Anwälten, die Professoren, die Künstler und Fabrikanten, die Nichtchefs und Chefs alle mit den ihnen jeweils Gleichen zusammen stehenbleiben ließ, auch war es nicht das davon noch am ehesten abweichende, provokant selbstbewusste, aber wen eigentlich wozu provozierende, absichtlich schlechte Benehmen der Adligen, es war vielmehr der ganzen Gesellschaft die Idee abhanden gekommen, was es heißen könnte, auf schöne Art ein FEST zu feiern, und was das dann für jeden einzelnen an Ambition bedeuten müsste. Das große Sommerfest bei Gabriele Heintzen, geborene von Lanz auf Puttlitz-Zitzewitz, das äußerlich so ausschauen sollte, wie der Mädchenname der Gastgeberin klang, machte da keine Ausnahme. Die Kulisse war insgesamt neureich, obwohl die Steine des Gebäudes, das viel zu dick lackiert im Hintergrund als Schloss dastand, so alt waren wie der Grund und Boden, auf dem um das Schloss herum ein völlig sinnlos getrimmter Golfplatzrasen angelegt war, und über den Rasen gingen an diesem Julinachmittag, es war ein Sonntag, bei herrlichem Wetter die versammelten Sommergäste dahin, die geladenen Gäste, die bessere und beste Gesellschaft von ganz Festenbergskreuth, in kleinen Gruppen miteinander im Gespräch, Champagnergläser in der Hand. Holtrop war ganz hingerissen. Mack, vor einigen Wochen: »Du musst endlich mal vernünftige Leute kennenlernen«, und an allererster Stelle der Vernünftigen, die Holtrop kennenlernen sollte, hatte Mack Frau Gabriele Heintzen genannt, »dieses Jahr, bei ihrem Sommerfest«. Holtrop hatte sich inzwischen daran gewöhnt, in Mack eine Art verbesserten Dirlmeier zu haben, von dem er sich sein berufliches und privates Leben bahnen, lenken, planen und erleichtern ließ. Und so stand Holtrop jetzt wirklich beim Sommerfest von Gabriele Heintzen auf einem dieser Golfplatzhügel unter einem großen weißen Sonnenschirmdach, vom Champagner angenehm beschwingt im Kopf, das angenehm sinnlose Geschnatter der Syltspezialistin Ida Griesstein im Ohr, die den anderen Syltianerinnen am Stehtisch unter dem Sonnenschirm ihre neuesten Syltgeschichten erzählte, und konnte nicht anders als diese sommerliche Gesellschaft hier mit den unsagbar traurigen Frühstücksveranstaltungen bei Kate Assperg zu vergleichen. Und im Ergebnis musste er das Schicksal dafür preisen, dass es ihn von Assperg weg und hierher geführt hatte, in die Freiheit seines neuen Lebens. »Wo bist du denn, Holtrop«, rief Mack aus einiger Ferne und winkte, »komm her!« Holtrop trat aus dem Schatten des Sonnenschirms und ging mit blinzelnden Augen auf Mack zu, der neben sich die Gastgeberin, die mit vorsichtigen Schritten und etwas langsamer als Mack ging, an der Hand hielt, eigentlich, wie Holtrop im Näherkommen sah, neben sich her schleifte. Die Anmutung der Unsicherheit, die von Gabriele Heintzen ausging, war Holtrop sympathisch. Mack: »So, meine Liebe, das hier ist Dr. Holtrop, von dem ich dir schon viel erzählt habe!« »Ich freue mich sehr, dass Sie kommen konnten«, sagte Gabriele Heintzen und gab Holtrop die Hand. Er gab ihr einen Handkuss, und sie lächelte. Das Lächeln sagte: Angst, Scheu, bitte nicht. Nicht noch einer, bitte, nicht noch ein Mensch, der etwas von mir will. Nicht noch ein Kompliment. Und weil Holtrops Freude an Menschen, die auch viel Dummheit beinhaltete, Güte nicht ausschloss, konnte er hier instinktiv richtig reagieren, gütig, mitleidsvoll und mit Verständnis. Das also war eine der vier reichsten Frauen Deutschlands: ein Pflegefall, ein vom Leben zusammengetretener, zerprügelter Mensch, ein Wahnsinn. Und weil umgekehrt sie selbst sah, dass von diesem neuen fremden Menschen Holtrop in durchaus ungewöhnlicher Weise vieles und Wesentliches ihrer inneren Kaputtheit und der davon ruinierten Weltgestimmheit aufgenommen worden war, fasste sie ihrerseits, noch bevorHoltrop ein Wort zu ihr gesagt hatte, ihm gegenüber eine Art furchtsames, von der Erwartung der vermutlich gleich eintreffenden Enttäuschung im Voraus schon zerrüttetes Tiefenvertrauen. »Mein Gott«, dachte Holtop und sagte ein langgezogenes »tjaaa« und nickte freundlich. »Komm, Gabi«, schrie Mack, »wir müssen weiter!« und haute Holtrop dabei auf den Oberarm. Mit einem von Koketterie fast freien Blick, der Scham über das Eingeübtsein dieser Unterwerfung unter einen solchen Rohling wie Mack mit der Bitte um Nachsicht für

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