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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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zum Abschuss freigegeben.
    Der Rücken des Portiers, auf den Thewe die ganze Zeit schaute, bewegte sich nicht, aber Thewe konnte spüren, dass der Portier, der ihn vorhin noch freundlich begrüßt hatte, sich jetzt von Thewe auf eine unzulässige Weise von hinten überwacht fühlte. Es war nicht erlaubt, schräg hinter dem Rücken eines anderen zu stehen, nichts zu tun und dort einfach zu warten. Immer waren es ein paar Grundregeln zu viel, die Thewe auf eine auch noch deutlich überpenetrante Art missachten zu dürfen glaubte, nur weil erselbst die bösen Absichten, die sein Verhalten nahelegen könnten, nach eigener Überzeugung nicht verfolgte. Das war die von Sprißler so sehr verachtete Dummheit von Thewe, dass er sein Verhalten nicht als das nahm, wie es wirkte, sondern wie er es meinte. Der Portier war mit den Reportern und der Abwehr der Reporter beschäftigt, die vor dem Haus unter dem Vordach standen und sich ein Statement, am liebsten natürlich von Holtrop selbst, zu der am Vormittag bekannt gewordenen Nachricht erhofften, Holtrop habe ein Angebot aus den USA bekommen und erwäge tatsächlich, von Assperg wegzugehen und in die USA zu wechseln. Thewe schaute wieder auf die Uhr, checkte, ob das Handy nicht etwa auf leise gestellt war, nein, das Handy war auf laut gestellt, und Leffers ließ ihn weiter warten.
    Vor Thewe gingen die Männer einer Umzugsfirma, in beigefarbene Overalls mit der Aufschrift MOVERS gekleidet, vorbei, die vierte Etage wurde geräumt. Die Firma Fly Pimp, die dort Büroraum angemietet hatte, war pleite gegangen. Fly Pimp entwickelte Hardwarelösungen für die drahtlose Übertragung von elektrischem Strom, nicht einfach nur Programme wie alle anderen Startupunterneh-men aus der Gründerzeit des Internetbooms. Insofern war die Firma ein ungewöhnliches Investment gewesen Ende der 90 er Jahre, als auch die von Holtrop besonders geförderte Venture-Capital-Abteilung viel Geld in jedes nur mögliche Startupunternehmen gegeben hatte. Die Idee end.of.kabelsalat war als Idee und Story von Asspergs AVC -Chef Schindt so vielversprechend gefunden worden, dass Assperg dort ganz besonders viel Geld investiert hatte. Fly Pimp hatte dann den Zusammenbruch der Internetblase zwar noch überlebt, aber den zweiten Absturz der Märkte nach dem Elften September nicht mehr. »Und jetzt auch noch Fly Pimp!« hatte Holtrop zu Thewe im Ton desultimativen Vorwurfs gesagt, als ob Thewe an der Pleite eine Mitverantwortung tragen würde und durch persönlichen Einsatz hätte verhindern können, dass der Leerstand im Arrowhochhaus durch die Fly-Pimp-Pleite jetzt noch weiter wachsen würde. Mit einem der Umzugsmänner von Movers, der auf einer Sackkarre vier Kartons gestapelt vor sich herschob, ging Thewe nach draußen, an den wartenden Journalisten vorbei.
    Unter dem Vordach blieb er stehen und wählte jetzt nocheinmal, wieder mit mitgesendeter eigener Nummer, das private Handy von Leffers an. Die Mailbox meldete sich, Thewe zögerte, wollte etwas sagen, legte dann aber doch auf. Er war einfach zu schwach, um sich der Erniedrigung auszusetzen, irgendeinen Betteltext auf die Höhenflugmailbox des unerreichbaren Leffers zu sprechen, der dann von dem ja doch nur wieder ignoriert werden würde. Im selben Moment klingelte Thewes Telefon, Leffers war dran. »Was gibts, du willst mich sprechen, was kann ich für dich tun?« rief Leffers bestens gelaunt und herzlich zu Thewe nach Krölpa hinunter. Sofort willigte Leffers ein in Thewes Bitte um einen Termin bei ihm in Berlin, »ja, natürlich«, rief Leffers, »morgen, gestern, wie du willst!« Thewe bemerkte an Leffers’ völlig normal vom Arbeitsstress aufgekratzter Reaktion, »rühr dich«, rief er, »wenn du da bist, tschüß!«, dass es keineswegs so gewesen war, dass Leffers ihn absichtlich, gar um ihn zu quälen oder zu erniedrigen, hatte warten lassen, sondern ganz einfach, weil er beschäftigt gewesen war. Dieser Gedanke deprimierte Thewe noch mehr. Der Regen hatte aufgehört, das Vordach tropfte. Thewe ging zu seinem Auto, setzte sich hinein, nahm einen Schluck aus der Silberflasche und ging dann weiter zur Kantine, um vor der Fahrt nach Berlin noch etwas zu essen. Die Kantine wurde auch als öffentlich zugängliches Lokal genutzt. Es war kurz vor eins, diemeisten Mitarbeiter hatten schon gegessen, nur wenige Tische waren besetzt. Thewe holte sich einen Kaffee und einen Käsekuchen und bewegte sich mit seinem Tablett suchenden Blicks quer durch den Raum auf die

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