Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
war.
Blaschke nahm die Papiere vom Klapptisch und ging in sein Büro. Für ihn war Holtrops genervter Abgang nur wieder ein weiterer Beleg dafür, wie schlecht Holtrop die Firma, die er selber führte, wirklich verstand. Dass Holtrop es als Asspergchef nicht mehr lange machen würde, war Blaschke völlig klar. Er stand am kleinen Aktenvernichter und ließ die Gesprächsmitschriften durch die altmodische Maschine laufen. Der luftige Papierbrei, der dabei entstand, konnte allerdings das informationelle Problem, dass man diese Informationen, die man sich beschaffen zu müssen geglaubt hatte, jetzt, nachdem man sie gesichtet und als unbrauchbar für den intendierten Zweck, den Beleg eines Verrats, erkannt hatte, gerne wieder in die Inexistenz der Vergänglichkeit real gesprochener Worte zurückverwandeln würde, nicht lösen, so schön er auch ausschaute. Und auch wenn man alle CD s geschreddert hätte, auf denen die Datei gespeichert worden war, und die Festplatten aller Computer, durch die die Datei hindurchgereist war, vernichtet: der Akt der Isolierung dieser Informationen war nicht rückgängig zu machen, ihr Herausgerissenwerden indie egal wie kurze Nichtvergänglichkeit von Text war für immer gespeicherte Tat, sie selbst dadurch Datei geworden, unbeseitigbar in der Welt. Aber Blaschke war Jurist. Wenn man die Irrealität solcher informationstheoretisch möglichen Spekulationen zuende denken würde, könnte man den Realbetrieb jeder echten Firma, wie sie die Assperg AG war, einstellen. Blaschke beendete statt dessen die von dieser abzulehnenden Endkonsequenz her sinnlosen Gedanken und stopfte den Papierbrei in den Abfalleimer, mit unaufgeregten Bewegungen, aber endgültig.
Dann setzte er sich an den Schreibtisch und notierte vier Zeilen zu dem Gespräch. Noch davor hatte Blaschke bei der Frankfurter Sozietät Sennheiser, von der Assperg sich in komplizierteren arbeitsrechtlichen Fragen beraten ließ, ein Gutachten bestellt, das die Aussichten einer Klage gegen Thewe wegen Geheimnisverrats und die möglichen Folgen für eine fristlose Kündigung prüfen sollte. Es bestand dieser Verdacht auf Verrat von Geschäftsgeheimnissen zwar auf Grund überhaupt keiner realen Verdachtsmomente, aber umso mehr gab es den Bedarf, in den Akten einen Grund dafür dokumentiert zu haben, dass hausintern gegen Thewe wegen dieses Verdachts ermittelt werden musste. Aus Sicht des Rechts gab es alle Grade von Illegalität, etwas komplett Nichtillegales aber praktisch nicht. Insofern war das Vorgehen gegen Thewe, das die Assperg AG im eigenen Interesse wählen musste, vielleicht nicht das allerschönste, aber was auf Erden war schon wirklich SCHÖN ? Recht: Maschinenraum der Gesellschaft.
Im Keller des Arrowhochhauses schräg gegenüber standen die buntfarbenen Putzwagen hinter verschlossener Türe im Dunklen und warteten dort tagsüber auf ihren Einsatz später, wenn es erst wieder richtig Nacht geworden sein würde.
XV
In der zweiten Nacht war der Regen schwächer geworden. Eine verstümmelte Funkmeldung des Inhalts, das Wetter sei nicht nur plötzlich, sondern endgültig umgeschlagen, führte deutschlandweit zu fehlerhaft optimistischen Prognosen für die Aussichten auf den kommenden Tag. In Krölpa war Sprißler mit Zedlitz und Rechtsanwalt Buhnke beim Verlassen des Rathauskellers gesehen worden. In Berlin wurde Dienstaufsichtsbeschwerde gegen BKA -Kriminaldirektor Kiefer erhoben. Kiefer war um Mitternacht vor dem geschlossenen Haupteingang zum Bundeskanzleramt erschienen, in weiblicher Begleitung und offensichtlich stark angetrunken, und hatte von dem dort wachhabenden Bundesgrenzschutzbeamten Gant, aus Krölpa gebürtig, Einlass gefordert. Auf die Weigerung Gants hin, Kiefer Zutritt zu gewähren, habe Kiefer, so die Rüge der Beschwerde, Gant zuerst verbal provoziert, als Wichser bezeichnet, ihm dann mit der Faust ins Gesicht geschlagen, woraufhin BGS -Mann Gant den BKA -Mann Kiefer nach allen Regeln der Selbstverteidigungskunst zusammengefaltet, zu Boden gebracht und dort fixiert habe. Die Rechtsberatung Gants war noch in der Nacht, auf Sprißlers Vermittlung hin, durch Clubanwalt Buhnke übernommen worden.
Henze hatte frei und lag zu der Zeit schon im Bett, von dort aus sah er, als er aufgewacht war, durch das Fenster hindurch die Bäume in Bewegung und konnte nicht mehr einschlafen. Langsam neigten sich die Spitzen der Bäume, die keine Blätter mehr hatten, zur Seite, langsam zurück, zur Mitte, nach vorn, auf das Haus zu,
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