Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
auch Holtrop und sich selbst, jetzt konstruktiv reagieren, Mitte Dezember laufe Kreditlinie XY und der Kredit YZ aus, »ja natürlich«, rief Holtrop, »weiß ich doch!«, und Ahlers redete weiter über die gegenwärtigen Geschäftszahlen der Assperg AG und das aktuell sich quasi täglich weiter eintrübende Wirtschaftsklima der gesamten Volks- und Weltwirtschaft usw.Aber nach Holtrops Ansicht war die Aufgabenverteilung innerhalb des Vorstands klar genug geregelt. Von Ahlers wurde doch eigentlich nur erwartet, dass er die finanziellen Spielräume so gestaltete, dass die geplanten Geschäfte wie geplant abgewickelt werden könnten, mehr nicht. »Was gibts denn da zu quatschen ohne Ende?« dachte Holtrop und wusste doch genau, dass Ahlers, Individualist vom Typus: nie ohne meine Fliege, mit Krawatte nie, in Schönhausen an seinem Schreibtisch saß und einen Sprechzettel vor sich liegen hatte, den er Punkt für Punkt abarbeitete und Holtrop vortragen würde, völlig egal, was Holtrop dazu sagte. Ahlers war die Indolenz durch Verfahren, die Unangreifbarkeit der Bürokratie, dagegen war Blaschke ein Feuerwerk erhellender Assoziationen rechtlicher Aspekte, die das Ganze der Firma allseits beleuchteten. Aber in Wirklichkeit war immer der der Schlimmste für Holtrop, mit dem er gerade reden musste. Außerdem waren sich Blaschke und Ahlers auch sehr ähnlich in ihrem aggressiv selbstbewusst vorgetragenen Schönhausenismus, der seine Spießigkeit sicher gedeckt wusste von ganz oben, von der bis ins letzte firmenphilosophische Argument ausbuchstabierten und untopbaren Exzeßspießigkeit des alten Assperg selbst. Eine unschöne Ängstlichkeit und Vorsicht war bei Assperg die fundamentale Firmenkulturprägung. Dass Holtrop ein paar schnelle kurze Jahre hatte glauben können, er könne diesen mentalen Kern Asspergs und aller Asspergianer im Alleingang ändern, war durch die damaligen Zeiten des Aufbruchs verursacht und durch Holtrops übertrieben von sich selbst überzeugte Was-kostet-die-Welt-Attitüde. Bald würde man so weit sein, dass irgendein Knecht von Ahlers als Finanzcontroller Holtrops Concordeflug nach New York auf die Frage hin analysieren würde: was kostet dieser Flug? Was bringt die Zeitersparnis uns konkret? Und mit uns war dann die allen Aktionären verantwortliche Assperg AG gemeint, nicht die konkrete Person des Vorstandsvorsitzenden Holtrop, nicht seine Schaffenskraft und sein etwaiges Wohlempfinden in der verrückten, euphorisch ausgelebten Phantasy physischer Allgegenwärtigkeit. An allen Orten der Welt wäre Holtrop lieber im Moment als in diesem lächerlichen Arbeitszimmer, in dem er hier gefangen war, im Haus der alten DDR -Ruine, Kloake Krölpa, vom Ahlersschen Trotteltext gefoltert und zu Tode gequatscht. Ahlers redete vom Absturz der Märkte, vor dem er immer gewarnt hatte, mit einer wenig gebremsten Genugtuung. Die Indices deuteten auf das eine hin: die Party ist vorbei. Der Kater wird furchtbar. Es war die Stunde der Spießer, die Spieler hatten endlich ausgespielt. Aber weil Ahlers all das immer schon prophezeit und die schrecklichsten Konsequenzen für die Assperg AG immer schon vorhergesagt hatte, weil er den Boom der vergangenen Jahre abgelehnt hatte, war für den Spieler Holtrop das Neue an Ahlers’ Rede nicht zu erkennen: dass Ahlers zum ersten Mal recht hatte, dass er jetzt nicht seine Ängste, sondern die wirklich ins Bedrohliche gekippte wirtschaftliche Lage beschrieb.
Holtrop konnte Ahlers’ Drohungen auch deshalb so schwer folgen, weil ihn die Dinge des Finanziellen im Prinzip in genau dem Maß ankotzten , in dem er nichts davon verstand. Holtrop war Verkäufer. Mit jedem Gedanken war er dem Markt zugewendet, der Welt, und schon immer war es ihm schwergefallen, die andere Seite des Betrieblichen, die nach innen auf sich selbst gerichtete Ziffernexegese, von der jeder Finanzfachmann gefesselt war, ernst genug zu nehmen, um sich davon in den unternehmerischen Entscheidungen steuern zu lassen. Es war der Finanzfachmann auch ein bestimmter Typus von zukurzgekommenem Ehrgeizling. Verklemmte, Spinner, Freaks mit leichtem Hau ins Schizoide waren es, die sich in denFinanzabteilungen gegenseitig vergiftet mit ihrem besserwisserischen Schweigen bekriegten, während das hocheffiziente Zahlengehirn eines jeden von ihnen neueste Grenzen, Unmöglichkeiten, Finessen der Agonie bestens begründet zusammenrechnete: keine angenehmen Leute, kein angenehmes Klima dort. Wir haben kein Geld? Dann besorgen wir
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