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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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mit riesigen grünen Zimmerbäumen bepflanzte Fensterfront zu. Auch diese Kantine, ein klassisch schöner Zweckbau der frühen Hochmoderne vom Beginn der 60 er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, klar, offen, hell und ohne Schnörkel, würde demnächst abgerissen werden, einfach so, aus Willkür, weil Holtrops große Halle des Volkes im asbestverseuchten Flachbau nebenan kein Gestern neben sich duldete, im Wahn totaler Gegenwart, den Holtrop lebte, gefangen. Thewe setzte sich allein an einen großen runden Tisch und schaute durch die elefantenohrartig riesigen Blätter des Zimmerbaums nach draußen. Er griff nach der Kaffeetasse und nahm einen Schluck. Auf der Tasse stand in Französisch:
    encore un jour
sans amour
encore un jour
de ma vie
    Der Kaffee schmeckte gut, der Käsekuchen schmeckte auch gut, und die Aussicht nach draußen war normal. Thewe beruhigte sich. Er schaute auf die Straße, sah die Autos vorbeifahren, er sah einen Blaumannpassanten mit Rucksack auf dem Rücken und mehrere vereinzelt dahingehende Anzugleute mit Aktentasche, manche Leute hatten auch Anoraks mit Kapuzen an, man sah Hüte, Truckercaps und Schirme, fast alles war beschriftet, was die sich dort bewegenden Menschen angezogen hatten, mit Buchstaben, Parolen, Markennamen. Die Namen der Marken der Kleider kannte Thewe, er sah sie, las sie und vernichtete sie auf dieArt, indem er sie in sich aufgenommen hatte, waren sie aus der Welt genommen und verschwunden. Der Anblick des Vertrauten machte Thewe in dem Moment endgültig fertig. Er wollte gar nicht mehr um sein Überleben bei Assperg kämpfen, das war das Ergebnis der Gefühle, die im Moment der Beruhigung durch den Ausblick nach draußen auf das vor der Kantine sich abspielende Alltagsleben in ihm ausgelöst wurden, die totale Sinnlosigkeit von allem. Thewe hörte etwas, drehte den Kopf nach links und sah die beiden Beragberater von vorhin schwungvoll um die Ecke aus dem Raucherraum kommen, dahinter den jungen Meyerhill und seine Entourage. Thewe grüßte, offenbar wirkte er weniger reserviert, als er sich fühlte, denn der Gruß wurde von der Gruppe als Einladung verstanden, zu ihm an den leeren Tisch zu kommen. Und in animierter Kollektivität kamen sie gemeinsam näher und verteilten sich, wobei sie sich weiter unterhielten, Thewe nocheinmal begrüßten, gestikulierend, schnatternd und rumpelnd auf den leeren Plätzen. Thewe rückte mit seinem Stuhl vom Tisch etwas zurück, aber der Überpräsenz der Gruppe und dem von ihr ausgehenden Stimmengewirr konnte er sich dadurch nicht entziehen.

XVII
    »Ja ja, richtig«, sagte Holtrop, »ich weiß!«, er telefonierte mit Ahlers, Ahlers redete ihm zu langsam. Finanzvorstand Ahlers, 56 , war ein sehr solider, brauchbarer Fachmann auf seinem Gebiet, ein Gesprächspartner für Holtrop in den aktuell drängenden unternehmerischen Fragen war er nicht. Es ging bei Ahlers’ Vortrag um Probleme mit dem von Assperg Capital Services aufgelegten Immobilienfonds, der das Arrowhochhaus in Krölpa errichtet und an die Assperg AG als Ganzes zurückvermietet hatte. Dieser Mietvertrag sollte jetzt auf den Standort Krölpa und die Krölpa Assperg GmbH umgeschrieben werden, um die dort auflaufenden Verluste mit den in Krölpa immer noch erwirtschafteten Gewinnen günstiger bilanzieren zu können, »machen wir«, sagte Holtrop dauernd dazwischen, aber Ahlers redete weiter, erklärte Banalitäten und Detailfragen, die er Holtrop in einer gehässig insistierenden Ausführlichkeit darlegte, obwohl Holtrop sich dafür überhaupt nicht interessierte, er wollte zu all diesen Dingen keine Fragen und Erklärungen, sondern abnickbare Vorlagen, noch besser gleich die fertig unterschriftsreifen Papiere vorgelegt bekommen.
    Holtrop war in Stürmerstimmung, wenn er nahe genug an die Fensterscheibe seines Bürozimmers ging und nach links schaute, konnte er die vor dem Arrowhochhaus auf ihn wartenden Journalisten sehen. Es drängte ihn, dorthin zu gehen und sich den Fragen der Presse zu stellen. In fünf Minuten könnte er dort für den Börsenkurs der Asspergaktie mehr tun als Ahlers in den letzten fünf Wochen mit seinen egal wie zutreffenden Warnungen: das Geld wird knapp. Ahlers’ Stimme kam gut hörbar aus dem laut gestellten Telefon, und Holtrop stand vor der Europakarte, den Kopf in den Nacken gelegt. Die Banken forderten dies, die Banken weigerten sich, jenes zu tun, die Banken seien nervös geworden, betonte Ahlers, darauf müssten wir, er meinte die Assperg AG , aber

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