Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
Vom Netzwerk:
nach unten, und wieder zurück zur anderen Seite, langsam und groß. Henze machte die Augen zu. Da hörte er etwas, Schritte, die näher kamen, regelmäßige Tritte, die immer regelmäßigerund lauter wurden, unüberhörbar, eine Kolonne marschierender Bundesgrenzschutzmänner mit Stiefeln an den Füßen marschierte in nicht so weiter Ferne durch Henzes Welt, durch sein Gehör hindurch in sein Gehirn hinein, »cht cht cht«. Er hielt die Luft an und wartete, machte die Augen wieder auf und lauschte in sich hinein. »Rchb chb chb«, die Tritte waren sein eigener Herzschlag, der das Blut rauschend und zugleich abgehackt durch das Innere seiner Ohren pumpte, er selbst war diese Marschkolonne marschierender Männer gewesen, die dann leiser geworden und verschwunden war, und durch die geöffneten Augen kamen die Umstände der Außenwelt, auch ihre Geräusche, wieder zurück, der Wind draußen und ein hölzernes Schieben der Bohlen auf dem Dachboden, unregelmäßig, nicht weniger irritierend als die vorherige Regelmäßigkeit der Schritte vom Herzschlag her, so bewegte sich hörbar die sichtbare Welt um Henze herum, Wald, Hütte, Nacht. Er hatte das Handy im Büro von Sprißler in der Hand gehabt, und Poggart hatte ihn dabei beobachtet. Er hatte das Handy nicht sofort zurück in die Schublade gelegt. Die Schublade war offen gewesen, diese Schublade hätte nicht offen sein dürfen. Und in genau dem Moment, in dem Henze das Handy in die Schublade zurückgelegt hatte, hatte Poggart nach ihm gerufen, Poggart hatte also so lange gewartet, bis Henze das Handy zurückgelegt hatte. Henze überlegte, ob man ihn einer Tat, die er nicht begangen hatte, in einer Weise beschuldigen wollte, gegen die er sich nicht zur Wehr würde setzen können. Poggart benutzte seine Undurchschaubarkeit als Instrument. Henze fürchtete sich vor Poggart. Er lag wach und überlegte.
    Poggart war auf der anderen Seite der Stadt mit Abgesandten der Detektei Bessemer Consult beim Thai-Imbiss verabredet. An den Stehtischen der Imbisswohnwagen drängten sich jetzt die Besucher der Diskothek MOON ,die auf der Straßenseite gegenüber in einem ansonsten leerstehenden Industriegebäude aus Krölpas großer Zeit am Ende des XIX . Jahrhunderts ihre Räume hatte, ein monströs sich auftürmender Backsteinbau mit vernagelten Fenstern in den unteren Etagen und leeren schwarzen Löchern, wo einst Fenster gewesen waren, weiter oben. Das Moon war ganz unten im Keller, und über dem Dach ganz oben leuchtete hellgelb und riesig, auf einen metallenen Stecken aufgesteckt, ein märchenhaft zurückgelehnter Mond als dünne helle Neonsichel. Zwischen dem Moon, dem Parkplatz und dem Thai-Imbiss waren die Nachtlebenleute unterwegs, und wenn eine Autotüre aufging, wummerten ein paar Takte Techno durch die Nacht. Pünktlich um ein Uhr dreißig erschienen zwei Männer der Bessemer Consult, die Poggart kannte. Er holte Bier und ging mit ihnen zu den Abfallcontainern am ortsauswärts gelegenen Rand des Parkplatzes, dahinter standen eingezäunt mehrere Straßenbaumaschinen, die als dunkel schlafende Riesen von ATLAS , Loewe, Gegenbauer hier gesichert übernachteten. Vom Zaun aus hatte man einen guten Überblick über die Bewegungsvorgänge auf dem von einer Straßenlampe matt beleuchteten Areal zwischen Diskothek und Parkplatz, zur Hälfte waren diese Vorgänge der Aufnahme von Nahrung, zur anderen Hälfte dem Konsum von Drogen zuzuordnen. Die Männer erklärten, dass es bei dem besprochenen Projekt UMBRA um eine Überwachungsmaßnahme der Zielperson Thewe gehe, Poggart erhielt als erstes ein Kuvert, das der Wortführer der beiden Männer, Drabic, ihm übergab mit der Aufforderung, vor den Augen seines Kollegen das darin enthaltene Geld durchzuzählen, viertausend Mark in Hundertern, Barhonorar plus Spesen für Poggart und die von Poggart zu engagierenden Männer für die ersten vier Tage. Ein Erfolgshonorar in gleicher Höhe, erklärte Drabic, sei vorgesehen für den Fall, dass der Nachweis schnell gelingen würde, dass der Asspergangestellte Thewe gegen Assperg, seinen eigenen Arbeitgeber also, dort insbesondere gegen dessen Chef Holtrop, konspirativ tätig sei. Es bestehe der Verdacht, dass dieser Thewe sich durch die Weitergabe von Informationen und Akten einer Verletzung der vertraglich vereinbarten Pflicht zur Verschwiegenheit und des Verrats von Betriebsgeheimnissen schuldig gemacht habe, sagte Drabic, vom Auftraggeber habe es geheißen: »Wir müssen wissen, wo er ist, was er

Weitere Kostenlose Bücher