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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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uns eben eines. Das war Unternehmertum. Was Ahlers hier seit zehn Minuten erzählte, waren die sprichwörtlichen Milchmädchenrechnungen, egal wie superpräzise durchkalkuliert, nur dass Holtrop Ahlers dies auf Grund seiner mangelnden Detailkenntnisse auf dessen Gebiet nicht schlüssig vorrechnen und beweisen konnte usw, und all das war Holtrop zusätzlich lästig.
    Endlich war Ahlers fertig und sagte zum Abschied: »Und morgen gehts bei Ihnen nach New York?« »Ja ja«, antwortete Holtrop matt. »Es hieß«, sagte Ahlers, »Sie hätten die Reise abgesagt?« »Nein, alles wie geplant.« Stille. Ahlers erwartete die Verbindlichkeit einer erläuternden Erklärung, glaubte sie durch Warten erpressen zu können. Nach Ahlers’ unglaublich randlosem Gequatsche war dieser Moment erpresserischer Stille von großer Gewalt. Noch größer war Holtrops Abscheu vor Ahlers. Holtrop war dran, sagte aber einfach nichts. Er sagte noch nicht einmal etwas Einlenkendes wie »sonst noch was?«. Holtrop wartete, bis Ahlers sich seines Erpressungsversuchs schämen musste, und zwar doppelt, wegen Zudringlichkeit und wegen Erfolglosigkeit, bis Ahlers zuletzt schließlich sagen musste: »Aha, wie geplant. Gut. Auf Wiedersehen.« »Wiederhören!« rief Holtrop und drückte im selben Moment die das Gespräch beendende Taste seines Telefons. Um Ahlers zum Abschied wenigstens akustisch noch schnell ins Gesicht zu spucken.
    Vom Gelingen dieser Bösartigkeit erfreut, ließ Holtrop sofort die draußen wartenden Beragberater Salger undPriepke hereinkommen. Salger kam als erster herein, er lächelte, und seine Augen blitzten, und wie Holtrop diesen unfassbar zeitgenössischen Menschen, hochgewachsen, kurzgeschoren, hell und lässig auf sich zukommen sah, wusste er wieder, was er ja wusste: Ahlers war die Blödheit des Alters, nicht der Zahlen. Es gab inzwischen einen neuen Breed von Finanzfachleuten, die eher wie genialisch gestimmte Pianisten oder Jungphilosophen daherkamen, in heiterster Weise identisch mit ihrer Welt der Spekulation, vom Geist beseelte, hochabstrakte Naturelle, denen eindeutig und offensichtlich – das konnte Holtrop gut erkennen, weil es ihm seine eigene Geschichte vor Augen führte, Finanzmathematik war heute das, was sein eigenes Gebiet, Marketing, vor zwanzig Jahren gewesen war, die Zukunft, heute vergangen – die heutige, jetzige Zukunft gehörte. Von Freude erfasst ging Holtrop auf Salger zu und gab ihm die Hand.

XVIII
    Im freien Vortrag wiederholte Salger, was er zuvor im Konferenzraum der Securo vorgetragen hatte. Priepke übergab Holtrop dazu verschiedene Tabellen, die das Gesagte präzisierten, und Holtrop schaute auf die mit Zahlen gefüllten Papiere, auf die dort in verschiedene Kästen, Ecken, Kolonnen und Kammern eingesperrten Ziffern, und nickte immer wieder. Salger merkte, wie sehr Holtrop sich zwingen musste, dem Vortrag zu folgen, wie es ihn quälte, wie wenig animiert Holtrops Denken auf die Attraktivität der Analysen reagierte, und kam deshalb zu einem schnellen, unvorhersehbar pointierten Schluss. Holtrop erwachte, warf sich zurück, ruckte vor, schaute Salgeramüsiert ins Gesicht und sagte: »Gefällt mir gut, wie Sie das machen.« Dazu sprang er hoch. Salger und Priepke standen auch auf, Holtrop verabschiedete sich mit besonders freundlich werbenden Worten, die beiden Männer gingen hinaus, und dann stand Holtrop hinter seinem Schreibtisch und klopfte mit den Fingernägeln beider Hände auf seine Schreibtischfläche ein, wobei er leise und schnell die Worte sagte: »gut, gut, gut«.
    Thewe hatte sich noch am späten Mittag, Salgers Bericht, der Holtrop von dem Treffen mit Thewe in der Kantine erzählt hatte, war diesbezüglich zutreffend gewesen, auf den Weg nach Berlin gemacht. Zuvor hatte er einen Umweg über die Halle genommen, aber für Ostrowski, den er dort nicht angetroffen hatte, dann doch keine Nachricht hinterlassen. In dem Moment, als Thewe aus der Halle herauskam, sah er Blaschke im Auto vorbeifahren. Blaschke saß so verkrampft hinter sein Lenkrad eingeklemmt, dass er außer der Straße nichts bemerkte, auch Thewe nicht. Blaschke, dieses Gespenst der absolut gesetzten beruflichen Passion, war der letzte Mensch, den Thewe in Krölpa sah. Dann fuhr Thewe aus Krölpa hinaus richtung Autobahn, er fuhr sehr schnell, erst die Chaussee nach Westen gerade dahin, Bäume, Krampe, dann die Kurven, Orla, Horre, Ursel, dann endlich hoch nach Norden. Die Autobahn war voll mit dichtem Freitagsverkehr. Aus

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