Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
einen für Binz bestimmten Kredit aufgenommen, der mit einem Asspergpaket von Derivaten besichert war, das bei der Deutschen Bank lag, im Moment allerdings deutlich weniger wert war als der damit besicherte Kredit von 400 Millionen Euro. Die diesbezüglichen Absprachen mit der Deutschen Bank waren auf den künftigen Chef Hombach, nicht mehr auf Bauer ausgerichtet gewesen. Für das geplante Gespräch mit Binz ergebe sich daraus aber, so Ahlers, zunächst keine konkrete Konsequenz. Immerhin sei die Aktie der Deutschen Bank, nachdem sie kurz hochgestiegen war, jetzt stark unter Druck, mit ihr der Dax. Zuletzt sei der Dax sogar unter die Marke von 5000 Punkten gefallen. Nachdem das Flugzeug beim Gate angekommen war und die Triebwerke ausgestellt waren, wurde Holtrop von einer Stewardess abgeholt und vor den anderen Passagieren über die Außentreppe zu der neben dem Flugzeug wartenden Limousine gebracht. Holtrop bedankte sich, setzte sich ins Auto, dann fuhren sie am Terminal entlang und unter dem Terminal in das Untergeschoss hinein, durch die Ausfahrtsstelle für PKW nach draußen, zunächst auf die Autobahn unddann auf einer Landstraße nach Unterhaching in die Binz-Zentrale.
Binz hatte Assperg bei Abschluss des Geschäfts vor einem halben Jahr vertraglich zugesagt, seine Multimedia-Aktivitäten im Internet und im Pay- TV in einer eigenen Gesellschaft zu bündeln, diese Gesellschaft sollte Assperg gegenüber den Leihkredit besichern, war aber bisher nicht gegründet worden. Im Büro von Binz standen Binz’ Adjutanten Scheer und Aiderbichl vor dem Fernseher, der auf einen Stuhl neben Binz’ Schreibtisch gestellt war, und schauten sich mit wachsender Zuversicht den Absturz der Börsenkurse an diesem verrückten Mittag an. Das Binzimperium wurde aus einem abstellkammerartigen Bürozimmer in Unterhaching bei München befehligt, Binz sah sowieso fast nichts mehr, aber das Gehör war intakt, was er nicht sehen konnte, konnte er sich sagen lassen, und sein unternehmerischer Geist war umso vitaler aktiv, je unübersichtlicher die Lage war. Binz hatte gute Laune. Der Kanzler hatte angerufen, Goschchef Messmer und Deutsche-Bank-Chef Bauer hatten angerufen, Hombach, Maschinger, Holtrop, Malone, sie alle sorgten sich um verschiedene Binzsche Firmen und Firmenbeteiligungen, vorallem aber um die Kredite, um die Binz selbst sich noch nie gesorgt hatte. Für Binz lag die Sorge um das Geld bei den Banken, nicht bei ihm, denn die Banken hatten ihm ihr Geld ja schon gegeben. Sein Spiel war das des Unternehmers: kaufe und verkaufe, wachse mit Gewinn. Das hatte er etwa sechzig Jahre so gemacht, sehr erfolgreich. Bisher war es immer gutgegangen. »Gott sei mit denen, die ihn brauchen«, sagte Binz, »und so auch mit mir.« Das war Binz’ Schnellnovene an den Gott der Frankfurter Börse. Ohne göttliche Hilfe könnte es diesmal eng werden. Aber vielleicht hatte Gott angesichts von Binz’ Notlage und der bei Gott deponierten Erinnerung daran, dass gerade die Notleidenden einen Anspruch auf Gottes Hilfe hätten, ein Einsehen, dem eigentlich die Bereitschaft Gottes folgen könnte, Binz zu helfen. Vor dem Hintergrund seines Gottvertrauens, das alles, insbesondere seine Geschäfte umfasste und nicht so völlig anders als andere geschäftliche Kalküle angelegt war, hatte Binz eigentlich nichts zu befürchten und alles zu hoffen. Binz schaute zu Scheer, dann zu Aiderbichl, das heißt er drehte sein Gesicht mit den extrem zusammengezwickten Augen in deren Richtung und sagte: »Ehe der Hahn dreimal kräht, werdet ihr zwei mich viermal verraten.« Dann schickte Binz die beiden weg.
Aiderbichl ging in seine eigene Abstellkammer hinüber, wo er den gerade startenden Feldzug zur Rettung des Fernsehsenders FANTASTIC WORLD vorbereitete. Aiderbichl telefonierte mit dem Büro Maschinger in Stuttgart. Maschinger machte für Fantastic die gesamte PR -Arbeit zum Amtsantritt von Aiderbichl als neuem Fantastic-Chef. Mit Maschingers Hilfe würde Aiderbichl den Sender völlig neu positionieren. Neuer Name, neues Logo, neue Jubelartikel überall und vorallem neues Geld, von woher genau, würde noch auszuhandeln sein. Aiderbichl hatte sich außerdem von der Deutschen Bank neue Bezahlmodelle entwickeln lassen, die gezielt auf neue Programme, neue Decoder, neue Kunden, zumindest Namen von neuen Interessenten, die später als Kunden gezählt werden könnten, wenn sie einmal bezahlten, wenn nicht, dann nicht oder später, extrem flexibel ausgelegt waren, sehr
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