Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
seine Mails. Ein früherer Studienkollege, der im Handelsraum der Bank arbeitete, hatte ihn mit einem Gästepass für die Vorstandsetagen hierhergebracht und war dann selbst wieder an die Arbeit gegangen. Andere Menschen ohne klar erkennbare Funktion, eventuell journalistenartiger Herkunft, versuchten wie Salger, körperlich so wenig vorhanden zu sein wie möglich oder zumindest personal so inexistent wie ein Stück Mobiliar. In Wirklichkeit war jeder Spion gegen jeden. Salger wartete auf Hombachs Erscheinen.
»Ich bin es nicht gewohnt zu warten!« schrie Zischler, der die Türe aufgerissen hatte und in die Lobby der Vorhalle hinausgestürmt war. Mehrere Mitarbeiter bewegten sich schnell auf Zischler zu und schauten ihn an. Da zeigte Zischler mit dem Finger auf den kleinsten Menschen, der neben ihm stand, es war, vielleicht nicht nur zufällig, eine Frau, und mit scharfer Stimme, die immer lauter wurde, beschimpfte Zischler diese Mitarbeiterin vor allen anderen so bösartig wegen irgendeines angeblich völlig unverzeihlichen Organisationsfehlers so lange, bis diese Frau, die ihr Gesicht der komplett sinnlosen Beschimpfungstirade ihres Chefs offen entgegengehalten und dabei immer nach oben zu ihm hinauf genickt hatte, mit einem letzten Nicken ihren Kopf sinken und fallen ließ und dann lautlos in sich zusammengesunken war. Noch dreimal stieß Zischler mit seinem Zeigefinger auf die Wehrlose ein, drehte sich um und ging hoch erhobenen Hauptes weg, der letzte Auftritt dieses grandiosen Supertrottels in den Räumen der Deutschen Bank.
Nicht lange danach kam Hombach mit ruhigen Schritten, von der Entourage seines zukünftigen Group Executive Committee begleitet, in die Vorhalle, die Sitzung war beendet, Hombach war gut gelaunt und wirkte zugänglich. In einem günstigen Moment stellte Salger sich dazu. Als Hombach ihn sah, sagte er: »Was machen Sie denn hier, Salger!« »Ich wollte Ihnen gratulieren.« »Brauchen Sie etwa einen neuen Job?« »Im Gegenteil, ich bin seit Anfang des Jahres jetzt fest bei Assperg.« »Ach?« Hombach schaute Salger an und sagte: »Und Ihre eigene Firma? Ihre Selbständigkeit? Zu uns wollten Sie ja nicht kommen. Leipzig war das, oder Dresden?« Hombach freute sich daran, alle damit zu erstaunen, dass er sich an Salger erinnerte. Nein, das sei schon Leipzig, sagte Salger, die Firma laufe außerdem weiter, jetzt unter dem Dach der Arrow PC in Krölpa, die Aufgabe bei Assperg, die Holtrop ihm geboten habe, sei so attraktiv gewesen, dass er – er hielt inne. Beim Namen Holtrop hatte Hombach eine Reaktion gezeigt, und Salger hatte außerdem bemerkt, dass er von Hombach dazu benutzt wurde, das Schauspiel: In freundlicher Willkür wendet der Chef sich einem beliebig herausgegriffenen Niemand zu vor Zuschauern aufzuführen, um diese Zuschauer, seine Kollegen, nicht nur kollektiv ignorieren, sondern auch noch in die Rolle der Passivität des Zuschauens zwingen zu können. Der Zwang dieser Gewaltausübung steigerte sichtlich Hombachs Wohlbehagen, zusätzlich erfreute ihn die Wehrlosigkeit, mit der seine Kollegen diese ihnen aufgezwungene Theatralizität hinnehmenmussten. Solange er, Hombach, eben wollte. Ruhig. Langsam. Lächelnd. Maskenhaft lächelnd agierte Hombach das Gespräch mit Salger demonstrativ überzogen aus, ging dann noch einen Schritt weiter, indem er schließlich direkt auf Salger zutrat, ihm eine Hand auf die Schulter legte und ihn mit sanfter Drehung aus der Gruppe heraus und mit sich fortführte. Die Übriggebliebenen ließ er als die von dieser Zuwendungsgeste zusätzlich Verhöhnten stehen. Sie standen noch einen Moment wortlos zusammen. Keiner wollte dem Faktum, dass sie mit Hombach ihr Zentrum verloren hatten, durch eine künstlich bemühte Wortmeldung, einen höflichen Gesprächsanfang entgegentreten, sie waren hier nicht zum Vergnügen zusammen, sondern auf Arbeit und ließen es deshalb geschehen, jeder der gleiche Snob jedem anderen, wie Hombach ihnen allen gegenüber, keiner zum Nichtsnobismus einer Freundlichkeit, der alltäglichen Leichtigkeit von ein paar öffnenden Floskeln bereit, dass nichts geschah, und so zerfiel die Gruppe der Vorständler, die eben noch Hombach umstanden hatten, etwa eineinhalb Sekunden nachdem Hombach, Salger mit sich fortführend, selbst aus ihr heraus und von ihr weggegangen war.
Hombach ließ seinen Arm von Salgers Rücken sinken, drehte ihm sein Gesicht mechanisch zu, anstatt ihm einen Gedanken zuzuwenden, und führte die Konversation einfach
Weitere Kostenlose Bücher