Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
vielversprechende Modelle, für die Fantastic-Finanzvorstand Dohse, der als Spezialist für »Optimierungen in Organisationen«, so der Titel seiner mathematisch-betriebswirtschaftlichen Doktorarbeit, die Implementierung am Markt und die für den Cash Flow verantwortlichen Dynamikprogramme mit seiner Abteilung in Hauptverantwortung übernommen hatte. »Herr Doktor Maschinger«, sagte die Sekretärin, »ist gerade in einem Gespräch, sollen wir Sie zurückrufen lassen?« Und Aiderbichls Sekretärin, die den Rückruf von Herrn Dr. Maschingers Sekretärin entgegengenommen hatte, schaute Aiderbichl, dem sie am Schreibtisch gegenübersaß, fragend an und fragte in den Hörer: »Ja sicher, aber wieso denn: lassen?« »Moment«, antwortete die Maschingersekretärin, »da muss ich eben fragen lassen.« Und Aiderbichls Sekretärin sagte zu Aiderbichl: »Aber da sind Sie sich ganz sicher, dass das Büro Maschinger die Topadresse ist für den Neustart von Fantastic?« »Naja gut«, sagte Aiderbichl auf Bayerisch, »was ist schon wirklich top, heutzutage, in dieser unserer sündigen Welt? Das frage ich Sie.«
Holtrop kam in Unterhaching an und wurde vom Pförtner zu Binz gebracht. Für die Besprechung mit Holtrop ließ Binz seine Adjutanten Scheer und Aiderbichl wieder in sein Zimmer rufen. Holtrop war auf das Gespräch gut vorbereitet, hatte verschiedene Zielvorgaben für unterschiedliche Gesprächsverlaufsmöglichkeiten definiert, Minimalzielvarianten, Verhandlungsmasse, Optimum etc. Aber Binz verhandelte gar nicht. Das war Holtrop neu. Binz bat Holtrop in sein Zimmer und ließ ihn dann an der gemeinsamen Betrachtung der laufenden Fernsehsendung über die Börse und an seinem Gespräch mit Aiderbichl und Scheer als Zuschauer teilhaben. Jeden Satz, den Holtrop sagte, bestätigte Binz freundlich, »völlig richtig«, sagte er immer wieder und zeigte auf den Fernseher, ohne den Inhalt des von Holtrop Gesagten aufzunehmen und selbst etwas dazu zu sagen. Dabei wirkte er nicht abweisend oder verschlossen, sondern sympathisch. Binz gewährte Holtrop eine Audienz. Natürlich würde man die vereinbarte Firma zur Sicherstellung der von Assperg vermittelten Kredite wie zugesagt gründen, »völlig richtig«. Aiderbichl und Scheer bestätigten das so Zugesagte. Undauf jede konkrete Frage antwortete Binz mit weitschwei-fig ausschwingenden Erzählungen über Geschichte und Struktur seines täglich weiter wachsenden Medienreichs. »Haben Sie Harald Schmidt gestern Abend gesehen?« fragte Binz, um einen eigenen Witz anzubahnen, der vom Totenglöckchen handelte. Nach einer Stunde war Holtrop in der Sache nicht vorangekommen, für Binz das Gespräch aber genau so verlaufen, wie von ihm gesteuert, ergebnislos. Herzlich grinsend ging er auf Holtrop zu, gab ihm die Hand und schickte ihn hinaus mit der Ankündigung: »Aiderbichl zeigt Ihnen noch unser neues Logo für Fantastic-World- TV !« »Kommen Sie!« sagte Aiderbichl und führte Holtrop durch die offene Türe hindurch mit nach draußen. Scheer ging hinter Holtrop und Aiderbichl her auch hinaus und machte die Türe zu. Binz hatte sich wieder hingesetzt und hielt seinen Kopf in richtung des laut plärrenden Fernsehgeräts.
V
Vor dem Operncafé zu Füßen der Deutschen Bank wütete ein Presslufthammer. Der Boden wurde aufgerissen. Dabei wurde der Boden vor dem Frankfurter Operncafé mit einem offensichtlich ungeeigneten, veralteten Riesenpresslufthammergerät traktiert, und am Presslufthammerende hing zitternd und zappelnd ein kleines, viel zu leichtes Männchen. Die Bauleitung hatte den falschen Mann geschickt. Der Stein war hart, Funken sprühten, steinerne Fragmente sprangen hoch, der Lärm war groß. Der Mann am Gerät hatte gelbfarbene Schallblocker über die Ohren gezogen und seine Augen mit einer Brille aus Plastik geschützt. Die Mittagspassanten umkurvten die von rot-weiß-rot gestreiften Brettern abgesperrte Baustelle. Es war wieder Mittwoch, eine Woche weiter.
Im Café saß Sicherheitschef Sprißler, aus Krölpa angereist, allein an einem Fenstertisch und wartete auf eine Nachricht von Beragchef Salger. Salger stand oben in der Lobby der Deutschen Bank vor dem Konferenzsaal KS 2 , in dem die für Hombach so blamabel verlaufene Sitzung der vergangenen Woche heute in die zweite Runde geschickt und vorher in alle Richtungen hin besser vorbereitet worden war. Salger hatte sich an einen Platz zwischen Türe und Buffetwagen gestellt, trank Kaffee und checkte alle dreißig Sekunden
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