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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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machte nichts und strahlte Heiterkeit aus. Es war eine Heiterkeit aus Schadenfreude. Die Art, wie Hombach, seit er zu Bauers Nachfolger nominiert worden war, immer wieder deutlich gemacht hatte, wie extrem wenig er von Bauers Führungsstil, von Bauers Strategie zur Ausrichtung der Bank und am Ende zuletzt ja einfach von Bauer insgesamt als Typ undMensch hielt, war im Kern genauso stillos und scheußlich wie Zischlers nur noch etwas penetrantere Cowboystiefelallüren. Aber so war die neue Zeit. Die alte BRD und ihre alten Herren mit den halb korrupten Netzwerken der alten Deutschland AG waren in den letzten Jahren des alten Jahrhunderts, auch mit Kohls Spendenaffäre, wirklich endgültig untergegangen. Jetzt kamen die Neuen, auch eine neue Art Chef. Der Jung- 68 er Hombach, Jahrgang 48 , war genau so ein Typ, der exzessiv von sich selbst eingenommene, innerlich enthemmte Ichidiot, egoman verkrüppelt. Aber: allen gefiel das, überall kam der neue Egostil gut an, bei der Bild-Zeitung genauso wie bei der Taz. Die Phantasie an die Macht, hatte es eben erst geheißen, jetzt waren die Protagonisten dieser einstigen Aufstandsparolenjugend real an die Macht gekommen, noch in Bonn waren Schröder und Fischer, der Turnschuh-Fischer, der blitzschnell zum Dreireiher- und Siegelring-Fischer mutierte Suppenkasper-Fischer, als neue Chefs der rotgrünen Regierung vereidigt worden, und wie war der Stil ihres Auftretens von Anfang an gewesen: unsympathisch, angeberhaft, grobianisch. Und vor allem: mega-autoritär. Die generationengegebene Ablehnung von Autorität hatte zu einer in der Praxis grotesken, an Blindheit grenzenden Unfähigkeit zur Einsicht in alle komplizierter austarierten Selbsteinschränkungsmechanismen realer Macht- und Herrschaftsausübung geführt, der Basta-Kanzler-Stil regierte, selbstgefällig dröhnend, die Politik, die Wirtschaft, die Chefs.
    Aber noch regierte Hombach in der Deutschen Bank ja eben gerade nicht. Noch war er wacher Geist, dem das Zaudern der Kollegen, das Hämische von Bauers Abwarten nicht entgangen war. Er wollte die Stille nicht überlang werden lassen, den Moment nicht so überdehnen, dass eine Abstimmungsniederlage unvermeidlich zu konstatierengewesen wäre. »Ja«, sagte er und lachte, »die Begeisterung ist allseits groß. Ich sehe und verstehe, wir sind noch nicht so weit, diese Fragen, die ja sowieso eher technischer Natur sind, jetzt schon final zu entscheiden. Das muss auch gar nicht sein. Vertagen wir.« Und mit Blick zu Bauer: »Sonst noch was?«

IV
    Noch während der Sitzung hatte die Nachricht von Hombachs Niederlage ihren Weg aus dem Konferenzsaal hoch oben im linken Silberturm der Deutschen Bank in die Welt hinaus und auch bis nach Schönhausen genommen, wo in der Assperghauptverwaltung Finanzvorstand Ahlers einen Anruf von seinem Frankfurter Kontaktmann Loon bekommen hatte: Hombach durchgefallen.
    Ahlers schickte Holtrop, der in einem Linienflugzeug nach München unterwegs war, eine Mail. Holtrop saß vorne links allein in der ersten Reihe, gegen die Sonne hatte er den Blendschutz heruntergezogen, die Akten in der Tasche gelassen und zuerst die Faz durchgeblättert, dann den Spiegel. Amerika hat Gefangene nach Kuba verschleppt, dort gibt es einen Militärstützpunkt, der außerhalb der amerikanischen Rechtsordnung steht. Den Gefangenen, die im Afghanistankrieg festgenommen wurden, wird der Status von Kriegsgefangenen, damit der Schutz durch die Genfer Konvention vorenthalten. Sie sind tagsüber bei großer Hitze im Freien in offene Stahlkäfige eingesperrt. Nachts werden sie von amerikanischen Spezialkräften beim Verhör gefoltert. Im Spiegel hatte Augstein einen Kommentar dazu geschrieben, den Holtrop teilweise gelesen hatte. »Warum macht ihr nichts dagegen?« hatteHoltrops Tochter Holtrop neulich gefragt, als in der Tagesschau die Gefangenen, die in orangen Overalls in diese Käfige eingesperrt waren, gezeigt wurden. »Weil wir nichts dagegen machen können«, hatte Holtrop geantwortet und diese Antwort, obwohl sie stimmte, unbefriedigend gefunden.
    Das Flugzeug sank tiefer. Die nördliche Umgebung von München war weiß beschneit, das Flugzeug schwenkte in eine Kurve ein, von unten her krachte beim Ausfahren das Fahrgestell der Räder, Holtrop legte die Zeitschrift weg und schaute hinaus. Nach der Landung blieb er sitzen und telefonierte mit Ahlers. Sie redeten über Holtrops für zwei Uhr geplantes Gespräch mit Binz. Assperg hatte bei der Hannoveraner Veerendonckbank

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