Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
du? Ich telefoniere!« Dabei machte sie mit der freien rechten Hand eine wegscheuchende, den alten Assperg wie ein lästiges Insekt von sich fortwedelnde Bewegung. »Brief von Brosse«, sagte der Alte, um Kürze bemüht, und kam vorsichtig, dadurch aber viel zu langsam dem Schreibtisch seiner Frau näher. »Gib schon her!« herrschte sie ihn an. Er hielt ihr die Kopie des Brossebriefes hin. Sie entriss ihm das Papier, schaute darauf, dann zu ihm hoch und sagte: »Danke!« Und ihr Blick sagte so gehässig wie möglich: »Nun hau schon endlich ab, du TROTTEL !«
Der alte Assperg hatte selbst, wie zuletzt wieder in Karlsruhe, die Menschen immer schlecht behandelt. Menschen, die ihm untergeben waren, Schwächere, Unterlegene, Ärmere und vielleicht auch nicht so ganz Gescheite, von denen er als Chef permanent mit Unterwürfigkeit behandelt wurde, hatte er generell mit einer verletzenden Gleichgültigkeit auf Distanz gehalten und dabei immer deutlich gemacht, dass er sich zu der Anstrengung nicht veranlasst sehe, sie individuell als Einzelperson wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Im nächsten Moment wendete er sich dann ohne Grund aus einer Laune heraus irgendjemandem, den er bisher immer ignoriert hatte, ganz persönlich und mit Interesse zu. Es ging darum, Willkür auszuleben, demonstrativ, um Angst zu verbreiten. Auch seine später zweite Frau hatte er in den ersten Jahren programmatisch schlecht behandelt. Es war die einfachste Art, über Menschen zu herrschen, sie schlecht zu behandeln, am besten so schlecht wie nur möglich. Für etwas anderes hatte der alte Assperg auch gar keine Zeit gehabt.
Sein Interesse galt der Firma. Seine ganze Energie konzentrierte er auf den Wiederaufbau, Ausbau und die Weiterentwicklung des nach dem Krieg von seinem Schwiegervater übernommenen Schönhausener Fabrikenkonglomerats Assperg GmbH. Der Schwiegervater hatte auf eine Adoption gedrängt. Denn Assperg wurde seit fünf Generationen, ursprünglich in Kassel in den 1830 er Jahren von Valentin Assperg als Eisengießerei und Maschinenbaufabrik gegründet, in ununterbrochener Folge von direkten Nachfahren des Firmengründers Valentin Assperg geführt. Zwei Söhne des Schwiegervaters waren im Krieg gefallen. Die Liebe der ältesten Tochter war in den Wirren des Frühjahrs 1945 auf den wundersam aus dem Nirgendwo hereingewehten Berthold Hofmann gefallen, 1946 war die Hochzeit, da hieß Hofmann schon Assperg, und es war ihm nur recht so, seinen alten Namen, an dem auch der sehr nationalsozialistische Dreck des gerade in Schutt und Schmach untergegangenen NS -Reiches hing, loszusein und einen neuen, frischen Namen zu tragen, den der Firma, die er zunächst mit dem Schwiegervater gemeinsam, nach dessen Tod Anfang 1947 in Alleinverantwortung leitete.
Schönhausen war noch im Februar 1945 wegen der militärisch relevanten Asspergindustriebetriebe das Ziel von alliierten Luftangriffen gewesen, mehrfach bombardiert und stark zerstört worden. Schon im Sommer aber hatte Hofmann angefangen, in den Trümmern der Druckerei die ersten Maschinen zu reparieren, und mit hundert Mitarbeitern den Betrieb provisorisch wiederaufgenommen. Im Entnazifizierungsverfahren war es dem Schwiegervater Heinrich Assperg zugute gekommen, dass er in den letzten Kriegswochen wegen angeblicher Vergehen gegen den allerletzten Führer- und Kriegszieleverherrlichungserlass des Schönhausener NS -Bürgermeisters Hädecke, nach ein paar Tagen Haft in den SS -Folterkatakomben des Rathauses von Schönhausen, noch vor ein dortiges Totenkopf- SS -Gericht gestellt und trotz seines Alters von sechsundfünfzig Jahren zum Fronteinsatz auf Bewährung verurteilt worden war. Vier Tage vor Einmarsch der Amerikaner in Schönhausen war Assperg zur berühmten Division Frundsberg der Waffen- SS an die Ostfront in die dortigen Endkämpfe gegen die XLVIII . Russische Armee geschickt worden. In Wirklichkeit aber war Heinrich Assperg als größter Arbeitgeber und Zwangsarbeiterverbraucher von Schönhausen zuvor ein ganz normales, ordentliches Standartenmitglied des nationalsozialistischen Honoratiorenkartells und natürlich auch Parteimitglied der NSDAP Schönhausens gewesen, seine Zweifel am Regime hatte er verstärkt gegen Schluss zu in sich entdeckt, als Hitler selber schon im Führerbunkerzimmer BERND EICHINGER mit seiner Munitionspistole vor seinen Generälen, seinem Goebbels und seiner Eva Braun herumfuchtelnd einsaß, und als die Front der Amerikaner nur noch zwanzig Kilometer vor
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