Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
den Fenstern angekommen und setzten sich. Ein Kellner trat zu ihnen. »Was trinken Sie«, fragte von Bartning. »Gerne ein Pils«, antwortete Holtrop. Von Bartning bestellte für sich einen Whiskey. Der Kellner nickte und ging weg. Von Bartning erkundigte sich nach dem Stand von Holtrops Gesundheit und den Geschäften der Assperg AG . Die neuesten Meldungen von Holtrops bevorstehendem Rücktritt als CEO , die quasi täglich irgendwo durch die Presse gingen, erwähnte von Bartning natürlich nicht. Aber in den Räumen des Clubs war ein Buzz zu spüren, während die Halle sich füllte, auch zwei Fernsehsender hatten angefragt, Holtrops Rede filmen zu dürfen, berichtete von Bartning. »Habe ich gehört«, sagte Holtrop, der alle Interviewanfragen, gegen den versammelten Rat seiner Schönhausener Mitarbeiter, ablehnen hatte lassen. Holtrop sah Talkchef Kiesewetter in der Menge, stand auf und begrüßte ihn.
Um viertel nach sieben war es soweit, und von Bartning ging an das Rednerpult, das vor einer der Säulen in der Mitte der Halle aufgestellt war. Die Gäste des Abends setzten sich, aber nicht alle fanden einen Sitzplatz. Es war ein kleiner Abend mit etwa sechzig Personen geplant gewesen, aber es waren mehr Leute gekommen, überall, wo man stehen konnte, vor den Wänden und in den Ecken und hinter den Sitzreihen und um die Sitzgruppen herum, standen die Mitglieder des Überseeclubs und freuten sich auf Holtrops Rede. Holtrop wurde mit freundlichen Worten eingeführt. Besonders bedankte sich von Bartning dafür, dass Holtrop trotz der vielen im Moment auf ihm lastenden Verpflichtungen die Zeit gefunden habe, für diesen Abend zu ihnen nach Hamburg zu kommen. Während von Bartning redete, baute sich in Holtrop die Energie auf, von unten her, physisch. Holtrop liebte dieses Spiel der Zuspitzung: alles oder nichts, Top oder Flop. Und anders als neulich im Berliner ICC vor den versammelten Aktionärsidioten spürte Holtrop hier den Kämpfer in sich wieder aufstehen, wie er es von sich kannte und automatisch erwartete, ein fundamental angenehmes Gefühl, gleich an dieses Pult gehen zu können und den Leuten die Weltlage im Großen und sei-ne Sicht im Speziellen auseinanderzusetzen. Applaus, von Bartning ging ab, und Holtrop kam schwungvoll an das Rednerpult, bedankte sich seinerseits, entfaltete sein Redemanuskript und legte dann nach der Bemerkung, »wenn Sie erlauben, beginne ich mit einer privaten Anekdote«, in weitgehend freier Rede los. Die private Anekdote handelte von den Problemen, die er als Privatmann jedes Jahr mit seiner Steuererklärung durchzustehen habe, war also das Allerallgemeinste, zu dem jeder sich sofort in Einverständnis zuschalten konnte. Die Männer, die auf den Stühlen vor Holtrop saßen, nickten ihr leidvoll geprüftes Steuerzahlernicken Holtrops Privatanekdote entgegen und einander gegenseitig zu. Auch Holtrop nickte. Dann kam er zum ernsten Teil seiner Rede, dem Verhältnis von Staat und Wirtschaft, von Freiheit und Regulation. Das rheinischeModell der einstmals so genannten Sozialen Marktwirtschaft sei am Ende. Das sei das Ergebnis der jüngsten Krise. Die hohe Abgabenlast, die der Wirtschaft von der Politik abverlangt werde, sei im Übrigen unsozial, denn sie vernichte Arbeitsplätze, die dringend gebraucht würden. Holtrop brachte Beispiele aus der eigenen Firma. Holtrop sprach sich gegen die Bürokratisierung der Arbeitnehmerinteressen durch die Gewerkschaften aus. Das System der Mitbestimmung habe sich als hochgradig korruptionsanfällig erwiesen. Die Mitarbeiter müssten positiv motiviert werden, nicht agonal aufgehetzt, wie es heute üblich sei, gegen die eigene Firma. Auch hierfür brachte Holtrop Beispiele, erzählte vom Ergebnis seiner Offensive an der Basis der Assperg AG . Und natürlich müssten auch die Mitarbeiter ganz oben, im oberen Management vernünftig bezahlt werden dürfen, sogar das sei ja inzwischen strittig. Eine Regulation oder Deckelung von Gehältern, die nach Bedingungen des öffentlichen Dienstes geordnet sei, sei wider den Geist der Wirtschaft selbst. Besonders viel Zustimmung bekam Holtrop für den abschließenden staatskritischen Teil seiner Rede. Der hier versammelte Überseeclub reagierte erheitert auf Holtrops Referat der politischen Entscheidungsprozesse. »Sie können es nicht!« rief Holtrop, »weil sie unfähig sind!« Damit waren die Politiker in den Parlamenten gemeint. Die Parlamente seien leer, der Bundestag sei bei den wichtigsten Debatten zur
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