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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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jetzt, Freitagnachmittag, endlich im Auto unterwegs zurück nach Hause, denn den Termin in Hamburg hatte er kurzfristig abgesagt, ein etwa zehnminütiger Moment von Sinn gewesen.

XXV
    Ende Mai war es endlich soweit: Holtrop bekam die Vertragsverlängerung, letztlich zu genau den Konditionen, die er immer gefordert hatte. Holtrop hatte Aufsichtsratschef Brosse niedergerungen, indem er die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat auf seine Seite gebracht hatte. Seither drehte Holtrop in alter und neuer Weise zugleich auf und durch, dass es für ihn ein Freude war, für Beobachter mit Sympathie für ihn Anlass zur Sorge und für Brosse nicht auszuhalten. Brosse hatte einen mehrseitigen Brief an den alten Assperg geschrieben, in dem er seiner wachsenden sogenannten Besorgnis Ausdruck gegeben hatte, dass der Konzern in den schweren Wettern, die durch die beinahe täglich sich weiter verschärfende Krise der gesamtwirtschaftlichen Globalbedingungen verursacht seien, in eine zunehmend gefährliche, möglicherweise schon jetzt kaum mehr korrigierbare Schieflage geraten sei, was dem amtierenden Vorstandsvorsitzenden, den Namen Holtrops nannte Brosse an keiner Stelle seines Briefes, jedoch im ganzen Ausmaß der Bedrohlichkeit der Lage offenbar überhaupt nicht wirklich bewusst sei katastrophalerweise, anders könne er, Brosse, sich den Wirrwarr aus Agonie und hektischer Betriebsamkeit, der derzeit die Maßnahmen, die vom Vorstand zur Korrektur der Lage der Assperg AG ergriffen würden, kennzeichnete, nicht erklären. Dann kam Brosse auf das Gutachten der KPMG zu sprechen. In seinem Auftrag hatte die KPMG den Asspergjahresabschluss 2001 unabhängig überprüft. Dabei seien der KPMG besorgniserregende Unregelmäßigkeiten der Bilanzierung bestimmter Zahlungen zwischen den am Standort Krölpa ansässigen Firmen aufgefallen. Der Aufsichtsrat habe dem Vorstand zwei Wochen Zeit gegeben, die Hintergründe der beanstandeten Zahlungen aufzuklären. Außerdem sei vom Aufsichtsrat eine konzerninterne Untersuchung durch die Complianceabteilung von Prof. Drawaert veranlasst worden, wie es die vom Vereitelungsverbot durch das Aktiengesetz dem Aufsichtsrat in Fall der Aufdeckung einer solchen Rechtmäßigkeitslücke im Übrigen auch rein juristisch zwingend vorgeschriebene Pflicht auch des Aufsichtsratschefs sei, von der persönlichen Enttäuschung, die für ihn, Brosse, mit alledem verbunden sei, einmal ganz abgesehen und zu schweigen usw.
    Brosse hatte mit diesem verrückten Wutbrief Holtrop endgültig den Krieg erklärt. Eine weitere Zusammenarbeit von Brosse und Holtrop war dadurch objektiv unmöglich gemacht worden. Brosse hatte dem alten Assperg gegenüber die Alternative so zugespitzt, dass Assperg sich zwischen Holtrop und ihm, Brosse, entscheiden müsse, was die Drohung beinhaltete, dass Brosse, der seit über dreißig Jahren in Asspergs Diensten stand, im Unfrieden das Haus verlassen und mit großem Krach hinschmeißen würde. Aber die fürchterliche Alternative, vor die Assperg durch diesen Brief gestellt werden sollte, beunruhigte den Alten überhaupt nicht. Die wichtigste Wirkung, die Brosse beabsichtigt hatte, war damit schon verfehlt. »Machen Sie mir gleich einmal eine Ablichtung von diesem lächerlichen Dokument«, sagte der Alte zu seiner Sekretärin so laut, dass der im Nebenzimmer sitzende Brosse es gehört haben könnte. Denn der Ehrenvorsitzende des Aufsichtsrats, der alte Assperg, und der real amtierende Vorsitzendedes Aufsichtsrats, der unalte, noch sehr aktive Brosse, 64 , hatten ihre Arbeitszimmer direkt nebeneinander im Zentralgebäude der Asspergstiftung. Zwei Zimmer weiter saß die ebenfalls noch nicht so sehr alte Frau des alten Assperg, Kate Assperg, die den Vorsitz der Stiftung innehatte, von wo aus sie vorallem ihren Mann überwachte. Außerdem kontrollierte sie den Aufsichtsrat und den Vorstand allgemein, speziell den Chef des Aufsichtsrats, Brosse, und den Vorstandsvorsitzenden Holtrop, die sie daraufhin beobachtete, ob sich der Konflikt zwischen beiden in den vergangenen Monaten des Frühjahrs wie gewünscht zugespitzt und zuletzt unkorrigierbar verhärtet hatte. Dieser Streit von Brosse und Holtrop war, weil er die Streitenden schwächte, im Interesse von Kate Assperg, da deren Schwäche ihren Einfluss mehrte. Der alte Assperg kam zu ihr ins Zimmer. Sie war gerade mit Wenningrode am Telefon, ließ ihre eben noch interessierte Miene zu einer Fratze von Abscheu zerfallen und bellte ihren Mann an: »Was willst

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