Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Wirtschaftspolitik mit nur zwanzig Abgeordneten besetzt. Die Faulheit der Politiker sei schlimmer als die viel debattierte Faulheit von Arbeitslosen und Arbeitsverweigerern. In den parlamentarischen Ausschußsitzungen, wo ja angeblich die gesetzgeberische Kompetenz der Spezialisten zu Wort kommen sollte, herrsche in Wahrheit das pure Diktat der Parteien, anstatt guter Argumente. So sei es auch erklärlich, dass ein grundfalsches Gesetz nach dem anderenbeschlossen werde. Die Wirtschaft werde von der Politik, alle anwesenden Politiker selbstverständlich ausgenommen, programmatisch an der Arbeit, an der Erfüllung ihres gesellschaftlichen Auftrags gehindert. Das müsse geändert werden. Das Ende des letzten Satzes hatte Holtrop mit Ausrufezeichen gesprochen, von den Zuhörern mit Applaus beantwortet. Holtrop nickte, bedankte sich und ging vom Pult weg zur Seite.
Etwa zwanzig Minuten hatte er geredet. Von Bartning bat zum Essen in den Festsaal nach oben, und die Mitglieder des Clubs und die Gäste gingen hoch. Holtrop stand noch neben dem Pult, und verschiedene Leute kamen zu ihm, stellten sich vor und gratulierten ihm zu seinem Vortrag, es sei alles sehr zutreffend, was er gesagt habe, sie hätten noch schlimmere Beispiele nennen können. Dann nannten sie in ausführlichen Erzählungen diese noch schlimmeren Beispiele, und Holtrop hörte zu. Nach einer Zeit des Zuhörens bedankte er sich für die interessanten Berichte und ging hinter den anderen her auch nach oben. Die Räumlichkeiten des Clubs strahlten eine angenehm zurückhaltende Eleganz aus, hellbeige an den Wänden, hellgrau am Boden, weiß die Säulen, schwarze Möbel, dunkelbraune und rote Ledersessel, eine Objektivität der Gediegenheit guten Geschmacks, von nichts Eigenem und Übereigentlichem gestört. Das Essen schmeckte Holtrop gut. Nach dem dritten Wein stand er beschwingt auf und ging zwischen den Leuten herum. Er redete mit Talkchefredakteur Kiesewetter, bekam einen Anruf von Bodenhausen, telefonierte mit seiner Frau, redete mit der Fotographin Irina Kulikova, die ein Porträt von ihm machen wollte, wofür er ihr einen Termin in Aussicht stellte, und ging dann gegen zehn Uhr mit von Bartning und einigen anderen zu Fuß hinüber ins Hotel Atlantic, und Holtrop fühlte sich wie einer dieser legendären Könige von Hamburg ausden fünfziger Jahren. Es war ein warmer Sommerabend. Von Bartning zeigte auf die goldhell erleuchteten Häuser hinter den Bäumen, dahinter die Innenstadt und schnell ziehende helle Wolken am Himmel darüber und sagte: »das meinte ich vorhin«, und Holtrop antwortete, »ja, ich weiß, das ist dieses Hamburg«. Dann standen sie an der Bar des Hotels, nahmen einen Drink und redeten über Zukunft und Vergessen.
XXVII
Der Fanatismus, mit dem Holtrop seine Optionen durchrechnete, kannte nur eine Maxime: die der Effizienz. Holtrop lag in seinem Hotelzimmer im Atlantic noch im Bett, es war schon halb zehn am nächsten Morgen, Holtrop erledigte verschiedene Telefonate, eben telefonierte er mit Salger. Das Frühstück hatte Holtrop sich aufs Zimmer bringen lassen, die Vormittagssonne scheinte herein, der Himmel strahlte blau, innen leuchtete das Zimmer weiß und gelb. Salger war gut gelaunt. Holtrop auch, denn er war froh, dass er über Nacht in Hamburg geblieben war, so musste er heute Vormittag nicht zu dem ungeliebten Empfang bei Kate Assperg gehen. Vorallem darüber freute er sich. Denn verletzend eindeutig musste Holtrop sich dort einmal im Monat vorführen lassen, dass sein Kurswert an der informellen Sympathiebörse, die von Kate Assperg dort veranstaltet wurde, stark gefallen war. Die Hausher-rin bestellte ihn ein, um ihn dann vor allen demonstrativ schlecht zu behandeln. Sie redete mit Salger, sie redete mit Brosse, natürlich war sie intensivstens im Gespräch mit Uhl und Wenningrode, es gab eigentlich niemanden außer Holtrop, dem sie auf so konsistent durchgehaltene Weiseihre Missachtung, mehr noch den Entzug einer einstmaligen Wertschätzung spüren ließ. Sie schaute ihn an, um, wenn er darauf reagierte, durch ihn hindurchschauen zu können, um in der Art der Blickabwendung noch die absurde Aufforderung zu übermitteln, Holtrop solle sich endlich überlegen, wie er wiedergutmachen könne, was so zerrüttet sei im Verhältnis zwischen ihm und ihr. Aber Holtrop war das zu blöd geworden, er wollte über Kate Assperg nach all den Jahren einfach nicht mehr nachdenken müssen und machte jetzt am Telefon über den Empfang und die
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