John Corey 03 - Nachtflug
bevor ich mit Captain Spruck gesprochen hatte, aber Kate hatte das Stück, das heute Abend gespielt wurde, geschrieben, bevor ich wusste, dass ich darin mitspielte. »Wo ist der Originaltreibstofftank?« fragte ich Mr. Siben.
»Im Lagerraum eines Labors in Virginia.“
»Wie viel konnte man davon bergen?«
Er schaute mich an und erwiderte. »Etwa neunzig Prozent.«
»Wäre es möglich, Mr. Siben, dass sich das Eintritts- und das Austrittsloch in den zehn Prozent befinden, die man nicht geborgen hat?«
»Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für so was?«
»Zehn Prozent.«
»Genaugenommen, und wenn man es statistisch betrachtet, liegt die Wahrscheinlichkeit weit unter zehn Prozent, wenn man bedenkt, dass zwei eindeutige Löcher vorhanden sein müssten, eins beim Eintritt, eins beim Austritt, beide einander gegenüberliegend, aber an dem zu neunzig Prozent rekonstruierten Treibstofftank keins von beiden zu erkennen war.«
»Okay, ein Prozent. Demnach bestünde trotzdem die Möglichkeit.«
»Meiner Meinung nach nicht. Na schön, wir haben auch am Rumpf nach den entsprechenden Eintritts- und Austrittslöchern gesucht ...« Er nickte zu dem wieder zusammengesetzten Flugzeug hin, »... und wir fanden keinerlei typische Löcher mit einwärts oder auswärts verbogenem Metall.«
Ich erwiderte: »Offensichtlich fehlen die wichtigsten Teile des Flugzeugs - vor allem der Teil, in dem sich die Explosion ereignete.«
»Nicht alle fehlen. Der gesamte Innenraum des Rumpfes wurde rekonstruiert, wie Sie später noch sehen können, wenn Sie möchten. Der Boden, die Auslegeware, die Sitze, die Ablagen fürs Handgepäck, die Decke, die Toiletten, die Galleys und alles weitere. Sie können mir nicht weismachen, dass sich eine kinetische Rakete mitten durch den Rumpf dieses Flugzeuges bohren konnte, ohne eine Spur vom Ein- oder Austritt zu hinterlassen.“
Natürlich hatte Mr. Siben vermutlich recht. Hier hatten wir also den klassischen Fall eines unerschütterlichen Zeugen -Captain Spruck - wider die unerschütterlichen Beweise, dargelegt von Mr. Siben. Die Beweisführung war völlig widersprüchlich, und mir sagte, um ehrlich zu sein, eher Mr. Sibens Darstellung zu.
Ich warf einen Blick zu Kate, die nachdenklich wirkte, aber vielleicht auch im Zwiespalt mit sich selber war. Selbstverständlich hatte sie das schon hundertmal durchgemacht, und aus irgendeinem Grund tendierte sie für sich persönlich zu der Theorie von der kinetischen Rakete.
Ich versuchte mich zu erinnern, was ich über die beweiskräftigen Spuren wusste und was Spruck gesagt hatte.
»Was ist mit den Klimaanlagen in der Nähe des Haupttanks?« fragte ich.
»Was soll damit sein?«
»Nun ja, wo sind sie?«
Er deutete rechts neben den Treibstofftank. »Dort. Rekonstruiert.«
»Und?«
»Kein Hinweis auf hochbrisanten Sprengstoff, keine Spur vom Einschlag einer kinetischen Rakete. Wollen Sie einen Blick darauf werfen?«
»Wie viel fehlt davon?«
»Ebenfalls etwa zehn Prozent.«
»Nun ja, Mr. Siben, die fehlenden Teile könnten aber einen wichtigen Hinweis enthalten. Und wenn ich ein Verschwörungstheoretiker wäre, würde ich sagen, dass man tatsächlich irgendwas gefunden hat und es verschwinden ließ.«
Er wirkte ungehalten und erwiderte: »Jedes Stück dieses Flugzeugs, das von Navy- und FBI-Tauchern, von einheimischen Fischerbooten und Baggerschiffen geborgen wurde, wurde sorgfältig erfasst, fotografiert und zur weiteren Katalogisierung hier eingelagert. Hunderte von Männern und Frauen waren an diesem Vorgang beteiligt, und niemand, außer ein paar Verschwörungsspinnern, hat unterstellt, dass man irgendetwas verschwinden ließ. Sämtliche Gegenstände, die in kriminal technische Labors verbracht wurden, sind aktenmäßig erfasst.« Er schaute mich an und fügte hinzu: »Die einzigen Stücke, die nicht erfasst wurden, liegen noch am Grunde des Ozeans. Das hier war eine erstaunlich erfolgreiche Bergungsaktion, bei einer Meerestiefe von bis zu fünfunddreißig Meter, und was noch fehlt, bietet keinerlei Überraschungen.«
»Dennoch«, erwiderte ich, »wenn das hier eine Mordermittlung wäre, würde ein Gerichtsmediziner nur widerwillig auf Unglücksfall befinden und ein Verbrechen ausschließen.«
»Ist dem so?«
»Ja, dem ist so.«
»Was brauchten Sie dazu noch?«
»Ich müsste wissen, warum Sie meinen, dass es ein Unglück war und kein Verbrechen. Dass es keine Hinweise auf ein Verbrechen gibt, beweist nicht, dass es ein Unglück war. Haben
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