John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
Für seine Kameraden war dies der schlimmste Job in der Armee: Immerhin bedeutete es, dass er festgeschnallt in seinem Sicherheitsgeschirr in einem Loch in der Decke des Humvees saß und ein Maschinengewehr mit einem Aktionsradius von 360 Grad bediente. An heißen Tagen – was hier täglich der Fall war – wurde er von der Sonne geröstet. Wenn sie über die Highways fuhren, atmete er Staub und Dieselöl ein, sodass er bei der Rückkehr zur Basis schwarze Schleimklumpen ausspie. Außerdem litten Geschützführer verstärkt unter Faltenbildung, weil sie
oft genug aus Angst die Arschbacken zusammenkniffen. Die Panzer und Bradleys besaßen eine dicke Stahlpanzerung. Und selbst die Humvees waren durch Stahlplatten und schweres kugelsicheres Glas geschützt. J.C. hatte nur seinen Helm und seine Panzerjacke, die ihm gegen eine RPG wenig nützten.
Aber ihm gefiel sein Job. Er wollte nicht in einem Panzer eingeschlossen sein. Hier oben konnte er Hinterhalte und Bomben ausfindig machen, und es gab jede Menge zu sehen. Dennoch war er nicht schießwütig. Als ein Geschützführer der C-Kompanie ein Kind mit einem Spielzeuggewehr erschoss, schwor sich J.C., dass er nie so einen Fehler begehen würde. Er wusste, wie er eine Menge dazu bewegen konnte zurückzuweichen, ohne auch nur einen einzigen Schuss abzufeuern, und er konnte den dumpfen Hall eines Mörsers vom tödlichen Zischen einer raketengetriebenen Granate unterscheiden. Selbst den Offizieren war schon aufgefallen, dass er der beste Geschützführer der Kompanie und vielleicht sogar des Bataillons war. Deshalb fuhr er immer mit Captain Jackson.
Der Humvee bog nach links auf die Santa Fe Avenue ein, eine von Osten nach Westen verlaufende Hauptverkehrsader im Zentrum von Bagdad. Selbstverständlich bezeichneten die Iraker die Straße nicht als Santa Fe Avenue. Sie hatten ihren eigenen Hadschi -Namen wie Mohammed Avenue oder etwas in dieser Art. J.C. war nicht sicher. Da unter den Soldaten niemand Arabisch sprach, hatte man die Straßen als Erleichterung für das Bataillon nach amerikanischen Städten benannt.
Während der Konvoi nach Westen fuhr und J.C. in die untergehende Sonne blinzelte, wünschte er, dass er mehr über den Irak wüsste. Von Captain Jacksons Übersetzer Salim,
einem Teenager, den die Mad Dogs wegen seiner kleinen runden Brillengläser Harry nannten nach Harry Potter, hatte er ein paar arabische Worte aufgeschnappt. Salim hatte ihn gelehrt, dass abu Vater bedeutete und umm Mutter. Er konnte auch bis zehn zählen: wahid, itnen, talata … Salim hatte ihn außerdem darüber aufgeklärt, dass das Wort Hadschi – mit dem J.C. und die übrigen Soldaten alles Einheimische beschrieben – kein wahlloser Ausdruck war. Im Gegenteil: Es bezeichnete jene, die die Pilgerreise nach Mekka zurückgelegt hatten, was für die Menschen hier eine wichtige Angelegenheit war.
Trotz dieser Erklärungen hatte J.C. oft genug das Gefühl, auf dem Mond gelandet zu sein. Er verstand dieses Land nicht. Warum trugen die Männer lange Kaftans, die wie Kleider aussahen? Warum gingen sie Hand in Hand? Und was war mit den Frauen los? Mit Captain Jackson hatte er schon mehrere irakische Häuser besucht, aber in allen sah es so aus, als würden die Frauen gar nicht existieren. Einmal hatte ihnen eine Frau Tee serviert, aber üblicherweise verbargen sie sich im hinteren Teil des Hauses. J.C. hatte sich aber auch nie auf die Suche nach Frauen gemacht. Immerhin hatte Command Sergeant Major Holder, der ranghöchste Mann im Bataillon, klare Anweisungen gegeben: Nie eine Frau ansehen, nie mit einer Frau sprechen und nie – wirklich nie – eine Frau berühren.
Die Iraker waren sehr gastfreundlich. Selbst jene, die kaum Möbel besaßen, hatten Captain Jackson bei seinen Besuchen Tee oder eine Cola angeboten. Allerdings konnte man ihnen nicht trauen. So hatte J.C. nach einem langen Treffen mit einem örtlichen Scheich miterlebt, wie der Captain die Beherrschung verloren hatte. »Seien Sie doch ehrlich zu mir. Sagen Sie mir die Wahrheit«, hatte ihn Jackson aufgefordert. Als
Salim seine Worte übersetzte, lachte der Scheich aus voller Kehle. »Die Wahrheit?«, fragte er. »Die Wahrheit bewahre ich für Allah auf.«
Als sich an einem Kreisverkehr ein Stau bildete, hielt auch der Humvee an. Alle wollten vor der Dunkelheit zu Hause sein. Denn nachts regierten Kidnapper und Widerstandskämpfer auf den Straßen und rollten gerissene Geschäftemacher in ihren schwarzen BMW-Limousinen mit
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