John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
Obwohl die Sonne schon fast untergegangen war, betrug die Temperatur immer noch 38 Grad Celsius. Die Panzerweste tat ihr Übriges. Obwohl er täglich vier Liter Wasser trank, musste er nie austreten, weil er jeden einzelnen Tropfen herausschwitzte. Beim Essen war es ähnlich. Trotz der gewaltigen Mengen, die er verschlang, hatte er in neun Monaten zehn Kilo abgenommen. Das war die Bagdad-Diät. Die Uniform hing lose an seinen ein Meter fünfundsiebzig Körpergröße.
»Geben sie euch nicht genug zu essen?«, hatte seine Mutter gefragt, als er im Juli für zwei Wochen auf Heimaturlaub in El Paso war. »Lassen sie euch hungern, um Geld zu sparen? Geht es darum?« Obwohl er ihr erklärte, dass die Verpflegung gut war, wollte sie ihm nicht glauben. Sie war sogar bereit, dem Präsidenten zu schreiben, bis es ihm gelang, sie zu beruhigen. Er verstand sie jedoch nur allzu gut. Solange sie sich auf die Verpflegung konzentrieren konnte, musste sie sich nicht mit den wirklichen Problemen auseinandersetzen. Vielleicht war sie aber auch nur eine typisch mexikanische Mutter, der jeder Vorwand recht war, um ihn mit Enchiladas vollzustopfen.
Egal, er würde schon bald wieder bei ihr und seinem Mädchen sein. Nur noch ein paar Monate, dann musste er diesen Ort nie wiedersehen … bis zum nächsten Wechsel. Während dies sein erster Einsatz war, verbrachten die meisten Soldaten der 2-7 schon ihren zweiten Turnus hier. Und wie der Großteil seiner Kameraden war auch J.C. davon überzeugt, dass der Krieg noch eine Weile andauern würde, egal was die Politiker behaupteten.
Mittlerweile war es schon fast sieben Uhr dreißig. Seit einer
Stunde warteten sie auf ihren Einsatz. Allmählich wurde es J.C. zu langweilig. Wieder ein typischer Fehlalarm. Auf eine Razzia, die tatsächlich stattfand, kamen vier geplante Einsätze. »Worum wetten wir, dass es wieder abgeblasen wird?«, rief er zu Corporal Mike Voss hinunter, den Fahrer des Humvees. Voss schüttelte bloß den Kopf.
Dann sah J.C. Captain Jackson, der auf den Humvee zuging. Seine schnellen knappen Schritte sagten ihm, dass sie heute Nacht doch ausrücken würden.
Langsam rollte der Humvee auf das fünf Zentimeter dicke Stahltor zu, das als Eingangstor für Camp Graphite diente. Nachdem J.C. seine Panzerweste über den Schultern festgezurrt hatte, zog er seine Pistole aus dem Beinholster. Obwohl er sie erst am Vortag gereinigt hatte, prüfte er nochmals den Schlitten, wie er es immer tat, bevor sie die Basis verließen. Das Metallstück glitt geschmeidig zurück. Gut. Er schob eine Patrone in die Kammer und steckte die Pistole wieder in den Beinholster. Vermutlich würde er die 9mm-Pistole ohnehin nicht brauchen. Im Vergleich zu dem Geschütz Kaliber .50 auf dem Dach des Humvees, den Maschinenkanonen auf den Bradley-Schützenpanzern und den 120mm-Panzergeschützen war sie nur eine Spielzeugpistole. Wenn jemand all diese Waffen überwand, steckte er sowieso tief in der Scheiße, Pistole hin oder her. Aber ein wenig zusätzliche Feuerkraft hatte noch nie geschadet.
Während sie durch das Tor fuhren, hörte J.C. unter sich zum hundertsten Mal den gebellten Chor des Liedes »Who Let the Dogs Out«:
Who let the dogs out
Woof, woof, woof, woof
Selbstverständlich benützten die Mad Dogs dieses Lied als ihren Slogan und spielten es jedes Mal, wenn sie die Basis verließen. J.C. konnte sich nicht mehr erinnern, wann das Lied herausgekommen war. War er damals in der achten oder der neunten Klasse gewesen? Vermutlich in der neunten. Ein Lächeln huschte über seine Mundwinkel. Das alberne Lied brachte ihnen Glück. Bisher war noch kein Soldat der Mad Dogs hier gestorben. Die übrigen Kompanien der 2-7 hatten nicht so viel Glück gehabt. Ein Humvee der Bushmaster war einer Autobombe zum Opfer gefallen und ein Heckenschütze hatte Lieutenant Poley von den Commandos erwischt, und war selbst entkommen. Dieser miese Heckenschütze. Vielleicht hatten die Mad Dogs heute Nacht Gelegenheit, ihn unschädlich zu machen.
Nachdem der Humvee durch die Betonabsperrungen gekurvt war, die das Eingangstor schützten, beschleunigte er und fuhr über die breite Avenue nach Westen, wo der zerstörte Zoo von Bagdad lag. J.C. konzentrierte sich auf das verlassene Gelände des Zoos, das ein natürliches Versteck für einen Angreifer mit einer raketengetriebenen Granate abgab. Er hatte auf die harte Tour gelernt, dass sie immer und überall in einen Hinterhalt geraten konnten.
J.C. war Geschützführer.
Weitere Kostenlose Bücher