John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
verrückt wie ich -, aber der Streifenpolizist lachte nicht. Manchmal glaubte Wells, dass ihm außer Exley niemand mehr offen ins Gesicht lachen würde, egal, wie sehr er es auch verdiente.
Über einen Helden lachte man nicht. Wie sollte er einer Welt vertrauen, die ihn so ernst nahm?
Während der Streifenpolizist zu seiner Limousine zurückkehrte, stieg Wells wieder auf das Motorrad. Bei der nächsten Ausfahrt kehrte er um in Richtung Washington. Auf der gesamten Fahrt nach Hause fuhr er beständig 105 km/h.
Als er zum Logan Circle zurückkehrte, warteten die schwarzen Lincoln-Limousinen mit den abgedunkelten Scheiben immer noch. Eine auf der Thirteenth und eine weitere auf der N. Jeweils zwei Mann pro Wagen, mit laufendem Motor. Rund um die Uhr. Sicherheitswachen von Langley, die ihn vor Gefahren schützen sollten. Und offenbar auch im Auge behalten sollten. Schon vor dieser Nacht waren sie Wells nicht willkommen gewesen. Doch jetzt mochte er sie noch weniger. Aber Vinny Duto hatte darauf bestanden. Zumindest sorgten sie für die Sicherheit der anderen Bewohner des Hauses, hatte Duto erklärt. Allerdings hatte er auch versprochen, dass die Wächter Wells und Exley ohne deren Erlaubnis nicht folgen würden. Bis zu dieser Nacht hatten sie sich offenbar an diese Vereinbarung gehalten.
Wells parkte das Motorrad in der unterirdischen Garage des Gebäudes und stieg die Treppe hinauf. So leise er konnte, öffnete er die Tür zu Exleys Apartment. Vermutlich war es jetzt ihrer beider Apartment, auch wenn es ihm schwerfiel, es so zu sehen. Er ging durch den engen Gang, der mit Schwarz-Weiß-Fotos von Exleys Kindern behängt war, und an der kleinen offenen Küche vorbei. Seine Stiefel rochen nach Kies, Öl und dem Highway. Er zog sie aus und stellte sie neben Exleys Schuhe, die daneben wie die eines Kindes aussahen.
»Jennifer?«, murmelte er. Keine Antwort. Vielleicht schlief
sie, viel wahrscheinlicher jedoch war, dass sie einfach zu wütend auf ihn war, um ihm zu antworten.
Auf dem Weg zum Bett kratzte Exleys alter Perserteppich unter seinen Zehen. Sie hatte das Stück während ihres Aufenthalts in Pakistan erworben und es zählte zu den wenigen Besitztümern, die ihr wirklich etwas bedeuteten. Auch wenn der Rotton schon verblasste, war das Gewebe immer noch fest. Das Apartment besaß nur drei Räume – dieses Wohnzimmer, ihr Schlafzimmer und ein weiteres Schlafzimmer, wo Exleys Tochter Jessica schlief, wenn sie zu Besuch kam.
Exley und Wells hatten schon darüber gesprochen, sich eine größere Wohnung zuzulegen, vielleicht sogar ein Reihenhaus am Capitol Hill, wo jedes ihrer Kinder ein eigenes Schlafzimmer hätte. Denn Exleys Sohn David war mit seinen mittlerweile zehn Jahren schon zu alt, um auf der klobigen Couch im Wohnzimmer zu schlafen. Vielleicht nahmen sie auch ein Haus mit einem Garten für Wells, in dem er jäten und pflanzen konnte. Etwas, das groß genug war, um auch einen Labrador zu halten, einen dieser großen fröhlichen Hunde, der das gesamte Haus ansabberte. Sie hatten sogar einen Immobilienmakler angerufen und sich einige Häuser angesehen. Aber alles, was sie gesehen hatten, war zu teuer, zu heruntergekommen, zu groß, zu klein, zu weit weg von der U-Bahn, zu … In Wahrheit fürchtete sich Wells vor dieser Häusersuche. Er war so lange auf der Flucht gewesen, dass er es sich kaum noch vorstellen konnte, innerhalb von vier Wänden und einem Dach eingeschlossen zu sein.
Auch die Möglichkeit, dass dieses Haus Raum für ein eigenes Baby mit Exley haben sollte, blieb unausgesprochen. Wells wusste nicht einmal, was er von dem Gedanken hielt,
Vater zu werden, auch wenn es ihm mitunter weniger erschreckend erschien, als ein Haus zu kaufen. In jedem Fall würde es mehr Spaß machen. Dabei wusste er nicht einmal, ob Exley überhaupt schwanger werden konnte. Immerhin war sie schon über vierzig, aber bekamen heute nicht auch Frauen dieses Alters Babys?
Er betrat ihr – ihrer beider – Schlafzimmer. Obwohl die Lampen ausgeschaltet waren, flimmerte eine Werbung für einen Multifunktionsgrill stumm über den kleinen Fernsehschirm auf Exleys Nachttisch. Draußen erhellte sich gerade der Himmel.
»Jenny? Bist du wach? Du glaubst nicht, was mir heute Nacht passiert ist.« Aber noch während er diese Worte sagte, fragte er sich, ob er ihr überhaupt davon erzählen sollte. Immerhin wollte er nicht eingestehen, wie schnell er gefahren war. Vielleicht sollte er die Sache mit Duto persönlich besprechen,
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