John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
des Flugzeugs auf 330 km/h. Der Luftstreitkräftestützpunkt in Osan hatte ihn ersucht, die Geschwindigkeit zu drosseln, um der Flotille auf dem Wasser eine Chance zu geben, noch einige Kilometer weiter nach Westen vorzustoßen.
»Neuntausendfünfhundert Umdrehungen pro Minute«, sagte Keough. »Dreihundertdreißig km/h, Richtung zwei-siebzig.« Direkt nach Westen.
»Ich gehe auf sechzehnhundert hinunter.« Bosarelli fuhr die Landeklappen auf fünfzig Prozent aus, um mit dem Sinkflug zu beginnen. Sobald er das tat, erklang ein kurzer Alarm und der Flachbildschirm vor ihm blinkte rot auf, ehe er zu seinem schwarzen Hintergrund zurückkehrte. Die chinesischen J-10 waren nun nur noch einhundertfünfundachtzig Kilometer entfernt – fünf Minuten mit Nachbrenner.
Vorerst machte sich Bosarelli ihretwegen keine Sorgen. Er befand sich über internationalem Gewässer und flog langsam und in gerader Linie – was kaum auf eine feindselige Absicht schließen ließ.
Als er durch die verglasten Fenster des Cockpits hinuntersah, entdeckte er durch die Wolken hindurch die Lichter eines Schiffes, das direkt unter ihm nach Westen fuhr. Hoffentlich war es ein befreundetes Schiff. »Alles bereit?«
»Das hoffe ich«, gab Keough zurück.
In einer Höhe von viertausendneunhundert Metern fing Bosarelli den Sinkflug ab, und das Flugzeug flog weitere fünfzehn Minuten beständig dahin. Bosarelli und Keough sprachen kaum miteinander. Nach Tausenden Stunden in diesen Hercules-Maschinen konnte sie Bosarelli buchstäblich im Schlaf fliegen. Außerdem gab es nicht viel zu sagen. Unter ihnen verdichteten sich die Wolken zu einer einheitlichen
weißen Masse, deren Oberfläche im Licht des Mondes und der Sterne glitzerte wie im Traum eines kleinen Mädchens. Bosarelli hatte jedoch wenig übrig für diese Schönheit. Er hätte viel lieber das Wasser unter sich gesehen. Ein Seitenwind kam auf, der das Flugzeug leicht durchrüttelte.
»Einhundertfünfundachtzig Kilometer in westlicher Richtung bis Inch’on«, sagte Keough. »Zwei Minuten bis zur Mittellinie.« Inch’on lag etwa dreihundertneunzig Kilometer westlich der Spitze der Halbinsel Shandong. In zwei Minuten würde das Flugzeug China näher sein als Korea, was bei den chinesischen Jets Alarm auslösen könnte.
»Zwei Minuten bis zur Mittellinie, zwölf Minuten bis zum Zielpunkt.« Bosarelli drosselte die Maschine auf 280 km/h, das war nur eine Kleinigkeit mehr als die Mindestgeschwindigkeit des Flugzeugs.
Nun verließen sie auch die letzten beiden F-16 ihrer Eskorte, wobei einer der zwei Kampfjets nach Norden und der andere nach Süden schwenkte, um in einem Bogen nach Osan zurückzufliegen. Jetzt hatten Bosarelli und Keough keinerlei Begleitschutz mehr. Aus irgendeinem Grund – vielleicht sogar demselben, aus dem sie diese Mission unternahmen – hatten die chinesischen J-10 nach Westen abgedreht und sich auf eine Höhe von zwölfhundert Metern sinken lassen, während sie wieder auf die Küste von Shandong zustrebten.
Bosarelli wusste jedoch, dass die chinesischen Kampfjets jederzeit erneut den Kurs wechseln und die C-130 ins Visier nehmen konnten, die vor allem mit dieser Ladung keine Chance hätte. Hercules-Piloten scherzten gern, dass ihr Raketenabwehrsystem hauptsächlich aus einem Alarm bestand, der ihnen sagte, wann ihr flugfähiger Untersatz explodieren würde.
Seit seiner ersten Fahrt in der Achterbahn in Six Flags im texanischen Arlington hatte er sich nicht mehr so gefürchtet. Damals war er acht gewesen. Sein älterer Bruder hatte ihm eine ganze Woche vorgeschwärmt, wie toll es sei, bis Bosarelli es selbst unbedingt erleben wollte. Daraufhin hatte er seinen Vater so lange angefleht, bis er ihn endlich mitnahm. Als der Wagen langsam über die flachen texanischen Ebenen hochkroch und sich auf seinen ersten Absturz vorbereitete, hätte sich Bosarelli am liebsten übergeben. Aber er tat es nicht. Sobald sie den Hügel hinuntersausten, explodierte er geradezu vor Vergnügen – auch wenn das für seine jetzige Situation vielleicht nicht die geeignete Wortwahl war.
»Fünf Minuten«, sagte Keough.
»Fünf Minuten.« Wieder fuhr Bosarelli die Klappen aus. »Ich gehe auf dreitausendsiebenhundert Meter hinunter.«
In dreitausendsiebenhundert Metern fing Bosarelli den Sinkflug ab. »Fallschirme und Helme auf.«
Bosarelli griff nach seinem Fallschirm und zog ihn über die Schultern. Keough tat dasselbe. Sie hatten die Fallschirme in Osan selbst zusammengelegt, unter
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