Johnson, Denis
klang laut und grobschlächtig. Bei jedem Atemzug quoll ihm Blut aus dem Mund. Lange würde er nicht mehr weiteratmen. Ich wußte das und er nicht, und darum sah ich dort den großen Jammer eines Menschenlebens auf dieser Erde. Ich meine nicht, daß wir irgendwann alle tot sind, das ist nicht der große Jammer. Ich meine, daß er mir nicht sagen konnte, was er träumte, und ich ihm nicht sagen konnte, was wirklich geschah.
Kurz darauf standen Autoschlangen auf beiden Seiten der Brücke, Scheinwerferlicht schuf um den dampfenden Schrotthaufen eine Stimmung wie bei einem nächtlichen Ballspiel, und Kranken- und Polizeiwagen bahnten sich zögernd ihren Weg, so daß die Luft farbig zuckte. Ich sprach mit niemandem. Mein Geheimnis war, daß ich eben noch der Herr und Meister dieser Tragödie gewesen war, jetzt jedoch nichts als der gesichtslose Begaffer eines blutigen Unfalls. Irgendwann hörte ein Polizist, daß ich in einem der Autos gesessen hatte, und nahm meine Aussage auf. Ich hab alles davon vergessen, außer daß er zu mir sagte: «Machen Sie die Zigarette aus.» Als der sterbende Mann in den Krankenwagen gehievt wurde, hielten wir im Reden inne und schauten zu. Er war noch immer am Leben, träumte noch immer seine obszönen Träume. Blut floß in Rinnsalen an ihm herab. Seine Knie zitterten, sein Mund röchelte.
Mit mir war alles in Ordnung, und ich hatte überhaupt nichts mitgekriegt, aber der Polizist mußte mich trotzdem befragen und ins Krankenhaus bringen. Als wir beim Eingang zur Notaufnahme unter das Vordach fuhren, kam über Funk die Meldung, daß der Mann gestorben war.
Ich stand in einem gekachelten Gang, quetschte mich mit dem klitschnassen Schlafsack gegen die Wand, sprach mit irgendwem von der örtlichen Leichenhalle.
Der Doktor blieb kurz stehen und sagte, ich solle mich besser röntgen lassen.
«Nein.»
«War aber gut. Wenn sich später herausstellen sollte, daß doch irgendwas war ...»
«Mit mir ist alles in Ordnung.»
Dann kam die Frau den Gang herunter. Sie war eine Pracht – sie glühte. Sie wußte noch nicht, daß ihr Mann tot war. Wir wußten es. Das gab ihr diese Macht über uns. Der Doktor bat sie in ein Zimmer mit einem Schreibtisch am Ende des Gangs, und unter der geschlossenen Tür strömte ein strahlend heller Glanz hervor, als würden dort drinnen in einem phantastischen Verfahren Diamanten zu Asche verbrannt Was für Lungen! Sie schrie schrill auf, so wie, vermute ich mal, ein Adler aufschreit. Es war ein wunderbares Gefühl, am Leben zu sein und das zu hören! Überall habe ich seither dieses Gefühl gesucht.
«Mit mir ist alles in Ordnung» – ich kann kaum glauben, daß ich diese Worte herausbrachte. Aber ich habe Ärzte schon immer angelogen, als bestünde Gesundheit lediglich in der Fähigkeit, ihnen was vorzumachen.
Als ich ein paar Jahre später zum Entzug im General Hospital von Seattle war, versuchte ich es wieder mit dem Dreh.
«Hören Sie ungewöhnliche Geräusche oder Stimmen?» fragte der Arzt.
«Hilf uns ... barmherziger Gott ... tut das weh!» jammerten die Schachteln mit den Wattebäuschen.
«Eigentlich nicht», sagte ich.
«Eigentlich nicht?» sagte er. «Was soll das denn nun heißen?»
«Ich glaube, das ist alles noch ein bißchen viel für mich», sagte ich. Ein gelber Vogel flatterte mir dicht vorm Gesicht; meine Muskeln zuckten nach ihm. Jetzt wand ich mich hoch und nieder wie ein Fisch. Als ich die Lider zupreßte, schossen mir heiße Tränen aus den Augen; als ich sie wieder öffnete, lag ich auf dem Bauch.
«Wieso ist das Zimmer so weiß geworden?» sagte ich.
Eine wunderschöne Schwester betastete meine Haut. «Das hier sind bloß Vitamine», sagte sie und schob mir die Nadel ins Fleisch.
Es regnete. Riesenhafte Farne neigten sich über uns. Wald schwebte einen Hügel hinab. Ich hörte einen Bach über Steine rauschen. Und ihr, ihr lächerlichen Leutchen, ihr glaubt, ich könnte euch helfen.
ZWEI MÄNNER
Dem ersten Mann bin ich begegnet, als ich mich nach einer Party im Haus der Kriegsveteranen auf den Heimweg machte. Zwei Freunde holten mich von der Tanzfläche. Ich hatte schon vergessen, daß sie überhaupt mitgekommen waren, aber da waren sie! Wieder einmal haßte ich die beiden. Durch irgendein Versehen, irgendein tiefsitzendes Mißverständnis, das nur noch nicht ans Licht gekommen war, hatten wir drei uns zusammengetan, und nun blieben wir zusammen, gingen in Bars und redeten. In aller Regel erledigen sich solche falschen
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