JoJo Und Ich
charmant wie möglich.
Sie antwortete nicht gleich, sondern musterte mich mit einem fragenden Blick, wie um abzuschätzen, was ich wohl von ihr wollen könnte.
»Sind Sie mit Ihrem Sohn im Hotel?«
»Oh, das ist nicht mein Sohn. Ich kümmere mich nur um ihn.«
Nicht ihr Sohn? Ich nickte und wartete, ob sie noch etwas hinzufügen würde. Sie war Kanadierin, stellte sich heraus, hieß Emily und war als Kindermädchen auf die Turks und Caicos gekommen.
»Das ist ein Job, den ich wirklich gern mache, wenn nur …« Ihre Stimme wurde ganz leise, und sie sah sich um, als könnte sie belauscht werden.
»Wenn nur …?«, fragte ich nach.
»… wenn nur Seans Eltern nicht wären«, flüsterte sie und deutete mit dem Kopf auf den Jungen. »Sie begreifen es einfach nicht. Und sie wollen mich nicht so helfen lassen, wie es richtig wäre.«
»Begreifen was nicht?« Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach.
»Sie meinen, er brauche keine besondere Förderung. Man müsse ihn nur wie die anderen Kinder auch behandeln, dann würde schon alles in Ordnung kommen. So geht das aber nicht.«
Jetzt erst fielen mir das runde Gesicht des Jungen auf, seine etwas schrägen Augen, die leicht herausstehende Zunge. Downsyndrom. Sean grinste zu mir herauf.
»Hi«, sagte er.
»Hallo, Sean. Wie geht’s?«
»Gut. Hunger.«
»Wir müssen los«, sagte Emily. »Es gibt gleich Mittagessen. War nett.« Sie wandte sich ab.
»Sind Sie morgen wieder hier?« Ehe ich michs versah, waren die Worte draußen. Und ich hätte gern ihre Augen gesehen, die sie hinter einer dunklen Ray-Ban-Brille verbarg.
»Bestimmt. Wir kommen eigentlich jeden Tag hierher.« Sie nahm den Jungen mit dem sandfarbenen Haar an der Hand. »Komm, Sean, gehen wir nach Hause.«
Ich sah ihr noch eine Weile nach, bevor ich weiterjoggte. Eines war klar: Ich würde ganz bestimmt morgen wieder hier sein. Mein Grinsen muss von einem Ohr bis zum anderen gereicht haben.
Etwa eine Woche später schwammen wir wieder einmal zu den Bootsliegeplätzen und JoJo tastete mit seinem Echolot die Gegend ab, als suchte er etwas. Ich wusste auch gleich, was. JoJo hatte ein Meeresschneckengehäuse, das er besonders liebte und immer beim Anleger deponierte. Wenn wir dorthin unterwegs waren, schwamm er gern voraus, um mir zu zeigen, wo das Gehäuse lag. Ich warf es dann weit aufs Wasser hinaus, und JoJo spürte es mit seinem Echoortungssystem wieder auf.
Heute aber lag unser Spielzeug nicht an der üblichen Stelle. JoJo machte sich auf die Suche, er umrundete den Anleger, schwamm aufgeregt hin und her. Dann kam er schnurstracks auf mich zu und sah sich meine wohlweislich ausgestreckten Hände genau an.
»Ich habe es nicht«, beteuerte ich.
Er schwamm hinter mich und tastete mit der Schnauze an meinem Rücken herum, fand aber auch da nichts. Dann kam er wieder vor und starrte mir direkt in die Augen. Sein Blick sagte: »Ich will jetzt dieses Schneckengehäuse.«
»Komm, ich such dir ein neues«, sagte ich und tauchte, um zu sehen, ob es da unten etwas Brauchbares gab. Ich fand aber nur Sand und Seegras, sooft ich auch tauchen mochte. Ich konnte nur hoffen, dass er selbst etwas finden würde, womit er sich amüsieren konnte.
Kurz darauf schwamm er plötzlich voraus, »schnüffelnd« sozusagen. Dann hielt er an und hatte offenbar irgendetwas unter dem Schnabel. Ich dachte schon, ich müsse wieder einen Junghai von ihm befreien, und sprintete zu der Stelle hin, aber was soll ich sagen – JoJo hatte tatsächlich unser Schneckengehäuse gefunden und drückte es in den Sand. Wunderbar, jetzt konnten wir spielen.
Ich überlegt, wieso das Gehäuse wohl so weit draußen lag, obwohl wir es doch immer an derselben Stelle am Anleger zurückließen. Nun, vielleicht hatte JoJo es selbst verlegt. Aber dann fiel mir ein, wie vorwurfsvoll er mich eben noch angesehen hatte. Nein, es musste eine andere Erklärung geben.
Jetzt erst bemerkte ich, dass er das Gehäuse nicht einfach zeigte, wie er es sonst immer tat, sondern es eindeutig in den Sand drückte. Was er damit wohl beabsichtigte?
Ich wollte die Schnecke aufheben, aber nein, JoJo bestand darauf, sie in den Sand zu drücken. Er drängelte sogar. Er hielt mich mit seinem Körper immer gerade so weit von dem Gehäuse weg, dass ich nicht herankam. Ich grapschte danach, aber er schubste sie schnell ein Stück weiter. Bei diesem Spiel war er eindeutig besser als ich, zumal mir immer wieder die Luft ausging. Schließlich war ich richtig erschöpft vom
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